Die Milch macht’s nicht: Ohne Staatsknete können Bäuerinnen und Bauern nicht leben

Zufrieden ist Bauer Bernd Schmitz nicht – aber ein wenig freut er sich schon: Er kommt derzeit besser über die Runden als die Jahre zuvor. Die Milchpreise sind hoch wie lange nicht. 40 Cent zahlen viele Molkereien derzeit pro Liter statt der jahrelang üblichen 25 bis 30 Cent. Schmitz hat 40 Milchkühe. Die Tiere werden mit Gras und etwas Getreide gefüttert, das der Landwirt aus dem Raum Bonn selbst anbaut. Für die Flächen, die er bewirtschaftet, erhält Schmitz Subventionen von der EU: In Nordrhein-Westfalen sind das 267 Euro jährlich je Hektar für Ackerland und 105 Euro für Grünland – die Höhe variiert von Bundesland zu Bundesland. Die Direktzahlungen machen die Hälfte seines Einkommens aus. Nur die zweite Hälfte verdiente er durch den Verkauf seiner Milch.

Zum Auftakt der Grünen Woche ist die Stimmung bei vielen Landwirten gut – denn die Zeiten billiger Lebensmittel scheinen vorüber zu sein: Brot, Mehl, Milch, Butter und Eier kosteten Verbraucher im vergangenen Jahr so viel wie lange nicht mehr. Davon profitierten auch viele Bauern. In Deutschland waren die Ernten zwar nicht schlecht, sondern lagen im Durchschnitt – die Preise wurden aber von den Weltmärkten bestimmt. Und diese wiederum wurden unter anderem von einer extremen Dürre in Australien beeinflusst: Große Teile des Getreideanbaus wurden so vernichtet.

Zudem steigt auch die globale Nachfrage weiter: Die Bevölkerung wächst, die Ernährungsgewohnheiten ändern sich. China etwa verbraucht verstärkt Milchprodukte. Nicht zuletzt werden weltweit immer mehr Ackerflächen dafür genutzt, Getreide für die Agrospritproduktion anzubauen. Alles zusammen machte Lebensmittel teurer.

Warum also nicht die Gunst der Stunde nutzen und die Subventionszahlungen zurückfahren? Landwirte verdienten schließlich gut wie lange nicht, meinen Politiker und Ökonomen. „Die milliardenschweren Förderungen verschwenden Steuergelder und verhindern, dass die Landwirtschaft effizienter wird“, sagt etwa Harald von Witzke, Agrarprofessor an der Humboldt-Universität.

Rekordhalter bei den Hilfen für Landwirte sind die EU und die USA. Rund 270 Milliarden Dollar wurden für Subventionen in der „Farm Bill“, dem Agrargesetz der Vereinigten Staaten, 2002 veranschlagt. Alle fünf Jahre wird diese neu verhandelt. Der Kongress fordert derzeit, die Mittel weiter aufzustocken. Trotz der gestiegenen Erzeugerpreise werde die Forderung vieler Ökonomen, die Subventionen deutlich zurückzufahren, verhallen, prognostiziert von Witzke: Zu groß sei die Angst, Wählerstimmen zu verlieren.

Anders sieht die Sache in der EU aus: 53 Milliarden Euro fließen dieses Jahr in die Landwirtschaft, fast die Hälfte des EU-Budgets. Und der Wunsch, dieses Geld für andere Bereiche der EU-Politik auszugeben, wächst. Ende vergangenen Jahres wurden so bereits Agrarmittel für die Finanzierung des Satellitennavigationssystems Galileo verwendet.

Die Hilfen für die Bauern waren vor 50 Jahren eingeführt worden, um genügend Nahrungsmittel zu stabilen Preisen garantieren zu können. Doch solche Krisenzeiten sind lange vorbei. Und die Stimmung, Teile des Agrarhaushalts für andere Zwecke zu benutzen, sei in allen Fraktionen des EU-Parlaments vorhanden, sagt Friedrich-Wilhelm Graefe zu Baringdorf, grüner Abgeordneter und stellvertretender Vorsitzender des Agrarausschusses im Europaparlament. Zusätzlichen Auftrieb erhielt die Diskussion, als bekannt wurde, dass von den EU-Subventionen besonders Großbetriebe und Adelshäuser profitieren, darunter der Molkereigigant Campina und der Unilever-Konzern.

„Zu sagen, die Förderungen hätten keine Berechtigung, ist aber zu schnell gegriffen“, sagt Agnes Scharl vom Deutschen Bauernverband. Ja, im vergangenen Jahr seien die Einkünfte für viele so gut wie lange nicht mehr gewesen – aber wer sagt, dass dies so bleiben muss? Das sieht Milchbauer Schmitz ähnlich: „Wir können auf die Direktzahlungen nicht verzichten“, meint er. „Jahrelang lag die wirtschaftliche Situation für die meisten Betriebe stark im Argen. Verschlissene Maschinen, Gebäude, die eigentlich renoviert werden sollten – investieren konnte man da nichts. Das muss nun nachgeholt werden.“

Schweinemäster Gerhard Kattenstroth aus Gütersloh lebt zu einem Drittel von den Direktzahlungen. Er bekommt die Subventionen für die Flächen, auf denen er Gerste, Roggen, Mais und Raps anbaut. Das Getreide verfüttert er an seine 500 Mastschweine. Nachfrage und Angebot bestimmen die Preise für den Schweinemarkt – und das vergangene Jahr war für die meisten Schweinebauern hart: Weltweit gab es eine Rekordproduktion an Fleisch, Energie und Düngemittel waren teuer. Und wer Futter nicht aus Eigenanbau verwenden konnte, musste dafür aufgrund der hohen Getreidepreise tief in die Tasche greifen. „Für unseren Betrieb wäre es sehr schwierig, ohne die Hilfen zu leben“, sagt Kattenstroth. Doch auch für die Zahlungen an manch größeres Unternehmen hat er Verständnis. „Nur zu sagen, das steht ihnen nicht zu, wäre ungerecht. Manche sind schließlich wichtige Arbeitgeber.“ Die Großen – das sind Betriebe vor allem in Ostdeutschland mit mehr als 5.000 Schweinen oder mehr als 1.000 Kühen. Unfair werde es bei jenen, die mit wenig Personal hochrationalisiert wirtschaften würden.

Die EU-Kommission schlägt nun vor, die finanzielle Unterstützung umso stärker zu kürzen, je höher die Subventionen für einen Betrieb sind: Direktzahlungen von 100.000 Euro, die bisher an einen Betrieb gegangen sind, würden demnach um 10 Prozent gekürzt, Beträge über 200.000 Euro um 25 Prozent und jene ab 300.000 um 45 Prozent gesenkt. Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) hält von dem Vorschlag wenig: Dadurch würden „Vertrauen“ und „Verlässlichkeit“ zerstört, sagte er im Deutschlandfunk. Man könne nicht in einem Jahr Unterstützungen zusagen – und im nächsten Jahr erklären: „Jetzt reduzieren wir das wieder alles.“ Renate Künast ist anderer Meinung: „Wer keine Arbeitsplätze bietet, muss weniger kriegen“, sagt die Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Grünen zur taz. Künftig müssten Direktzahlungen „auf eine Basisprämie mit ökologischen und sozialen Kriterien“ heruntergefahren werden.

Auf der Südhalbkugel wird gerade geerntet – aus Argentinien kommen schlechtere, aus Australien deutlich bessere Nachrichten. In der ersten Jahreshälfte dürften die Weltmarktpreise jedenfalls hoch bleiben, schätzt Franz Sinabell vom Wiener Wirtschaftsforschungsinstitut. Aber dann? Höhere Einkommen führten zu mehr Investitionen: „Es wird mehr gedüngt. Und 5 bis 6 Prozent mehr Dünger ergeben 2 bis 3 Prozent mehr Output“, sagt Sinabell.

Außerdem hat die EU-Kommission vorgeschlagen, die zwangsweise Stilllegung von Anbauflächen für die Aussaat im Herbst 2007 und 2008 auszusetzen. „Das Angebot wird mit der weltweiten Nachfrage dennoch nicht Schritt halten“, sagt Ökonom von Witzke. „Ackerflächen sind begrenzt, die Produktivität im Verhältnis zu gering.“ Für ihn ist klar: Die Preise werden künftig stärker als bisher schwanken. Darauf müssten sich alle einstellen – ob Verbraucher oder Landwirt. Bauer Schmitz: „Von Euphorie kann derzeit deshalb keine Rede sein.“

Erschienen in: taz, 01/2008

 

About the author