Anschläge in Sachsen: „Ich dachte, wir sind weiter“

„Seid ihr nun zufrieden?!“ Das weiße Schild, das jemand an dem Zaun montiert hat, sticht nicht durch seine Maße hervor. Auch die Buchstaben sind weder fett, noch sehen sie aus, als wären sie in Rage schnell geschrieben worden. Das Schild zeigt Fassungslosigkeit. „Bautzens Ruf zerstört!“

Vor einer Woche brannte in der sächsischen Kreisstadt Bautzen der Dachstuhl des Hotels Husarenhof aus. Im März hätten Geflüchtete einziehen sollen. Während die Feuerwehrleute Samstagnacht damit beschäftigt waren, das lodernde Feuer unter Kontrolle zu bringen, jubelten und applaudierten rund um Menschen. Die Ermittler fanden später Brandbeschleuniger.

Hinter dem Zaun mit dem Schild und vor dem abgesperrten Husarenhof ist ein kleiner Spielplatz. Rund herum stehen Häuser aus der Gründerzeit. Während ein Polizist vor dem Hotel hin- und hergeht, rutschen und toben auf dem Spielplatz drei Kinder. Die Erwachsenen tratschen miteinander und schauen dann wieder nach den Kleinen. „Ist nicht schön, was hier passiert ist“, sagt eine junge Mutter. „Wir habens aber so oft gesagt, dass wir das hier nicht wollen, jetzt haben sie sich mal gewehrt.“ Die Täter sind bisher nicht gefasst. „Wir sind keine Nazis. Ja, jetzt heißt es wieder: Das böse Sachsen.“ Man wolle aber einfach „de Männer“ nicht und „das Anglotzen“ – und dann auch noch hier beim Spielplatz.

„Die Lage wäre für die Flüchtlingsunterkunft ideal gewesen“, sagt Katrin Heimbürger und schaut hinüber zum Husarenhof. „Mitten im Wohngebiet, man hätte die Kinder auf dem Spielplatz gemeinsam spielen lassen können.“ Heimbürger arbeitet als Englisch- und Russischlehrerin an einer Berufsschule und engagiert sich ehrenamtlich über den Verein „Bautzen bleibt bunt“ für Flüchtlinge. Heimbürger ist eine von 70 Paten in der Stadt. Sie begleitet die Frauen und Männer aufs Amt, schaut sich Wohnungen an, organisiert Möbel, ist Ansprechpartnerin bei Fragen und Problemen, zeigt den Flüchtlingen, dass sie nicht allein sind.

Wie Heimbürger sind viele Bautzener entsetzt über das, was passiert ist. Dazu zählt auch der Bürgermeister. Der parteilose Alexander Ahrens wurde im vergangenen Jahr von einem Wahlbündnis aufgestellt; 25 Jahre lang war zuvor der Christdemokrat Christian Schramm an der Spitze. Angetreten ist Ahrens mit dem Ankündigung, dass es mit ihm keine Politik gegen Flüchtlinge geben werde. „Mir wurde damals prophezeit, mit dieser Einstellung keinen Stich zu machen“, sagt er. „Ich konnte mir das nicht vorstellen, weil Bautzen differenzierter aufgestellt ist.“

Nun sitzt der 50-jährige Ahrens im schmucken Rathaus, ein Bau, der 1213 auf Anordnung König Ottokars I. von Böhmen entstand, 1705 nach einem Brand im Barockstil wieder errichtet wurde und ein weiteres Prunkstück Bautzens ist. Ahrens spricht ruhig und überlegt. „Ich bin wütend“, sagt er.
Mit „einer Aktion wie am Samstag“ habe er nicht gerechnet – auch wenn klar gewesen sei, „dass man das nicht ausschließen kann.“ Vom „braunen Sachsen“ war in deutschen Medien daraufhin die Rede, vom „Schandfleck Deutschlands“.

Zwei Tage vor dem Brand hatten 100 Menschen im sächsischen Clausnitz aggressiv gegen die Unterbringung von 25 Flüchtlingen protestiert. Stundenlang wurde der Bus blockiert, in dem auch verängstigte Kinder saßen. Ein paar Tage zuvor hatten in der Kreisstadt Löbau zwei junge Männer Molotowcocktails auf eine Unterkunft geworfen. Ebenfalls im Februar schmissen in Chemnitz Unbekannte Steine auf ein Heim, in Pirna wurde ein Flüchtling verprügelt und mit einer kaputten Bierflasche verletzt. Im vergangenen Sommer folgten 1.000 Menschen der Einladung einer Facebook-Gruppe unter dem Motto „Heidenau hört zu“. Während Rechtsextreme verhindern wollte, dass aus einem ehemaligen Baumarkt eine Flüchtlingsunterkunft wird und Polizisten und das Heim angriffen, standen hunderte Bürger daneben und sahen zu.

Feste rechte Strukturen gibt es seit Mitte der 1990er Jahre. Die NPD, die „Nationaldemokratische Partei Deutschlands“, ist ein Teil davon, die nach der Wende unter den neuen Bundesländern verstärkt Sachsen im Blick hatte und hier, wie Sachsen sagen, auf „fruchtbaren Boden“ gestoßen sei. Bei der Wahl am 31. August 2014 schaffte sie es zwar mit 4,9 Prozent nur knapp nicht mehr in den Dresdner Landtag. Dafür zog erstmals die „Alternative für Deutschland“ ein, die 9,7 Prozent der Stimmen bekommen hatte.

Die „Deutsche Volksunion“ ist mittlerweile aufgelöst, doch es gibt nun „Die Rechte“ und die Partei „Dritter Weg“. Vor etwas mehr als einem Jahr tauchte das Phänomen „Pegida“ auf. Bis zu 25.000 selbsternannte „Patriotische Europäer“ demonstrierten in Dresden gegen die „Islamisierung des Abendlandes“. Und in „Nein-zum-Heim-Initiativen“ treten sowohl bekannte Neonazis als auch Männer und Frauen, die bis dahin nicht weiter auffällig gewesen sind, gegen Flüchtlingsunterkünfte auf.

Es gibt unterschiedliche Theorien für die Fremdenfeindlichkeit und die auffällige Unzufriedenheit in der Bevölkerung mit der etablierten Politik und ganz besonders mit der Flüchtlingspolitik, die sich in den Wahlergebnissen, in Gesprächen und rund um „Pegida“ zeigen.

Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der Technischen Universität Dresden spricht von den selbst- und traditionsbewussten Bewohnern, von einer „grundkonservativen, bürgerlichen Stimmung“ in Sachsen und von „einer Art sächsischen Chauvinismus, der mit der Selbstüberhöhung der eigenen Gruppe und einer starken Setzung von Etabliertenvorrechten einhergeht“. Lange Zeit habe man etwa auch unsensibel ausgeklammert, dass auch andere Städte im Zweiten Weltkrieg stark zerstört wurden, nicht nur das vermeintlich unschuldige Dresden.

Immer wieder stößt man auch auf „Versäumnisse der langjährigen CDU-Alleinregierung“ als Erklärungsversuch: Die Tatsache, dass es rechte Strömungen gibt, Neonazis, Rechtsradikale, die Ablehnung von „Fremden“, sei lange Zeit klein geredet worden. Kurt Biedenkopf, von 1990 bis 2002 erster Ministerpräsident Sachsens nach der Wende, sagte einmal, der Freistaat sei „immun gegen rechts“. Was nicht sein durfte, gab es demnach nicht. Ganz wie in der antifaschistischen DDR.

„Ich unterstelle niemandem böse Absicht“, sagt Bautzens Bürgermeister Ahrens. „Ich glaube, man hat sich über die wirtschaftlichen Erfolge des Landes gefreut und wollte diese nicht kaputt reden.“ Dass die Landesregierung die Vorfällen in Clausnitz und Bautzen nun „in der nötigen Schärfe“ verurteile – Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) nannte die Taten „widerlich und abscheulich“ -, darüber freue er sich. „Das lehrt uns aber auch, dass wir künftig stärker klimatische Verrohungen thematisieren müssen.“

Das, was sich Ahrens von mehr Politikern wünscht, machen längst viele Bürger Sachsens. Sie engagieren sich in Vereinen und Initiativen, nehmen an Gegendemonstrationen und an Mahnwachen teil und führen in Schulen Debatten mit Jugendlichen.

Mit knapp 38.000 Einwohnern ist Pirna fast so groß wie Bautzen. Im Stadtteil Copitz befindet sich das Berufsschulzentrum für Technik und Wirtschaft. Von November bis Anfang Februar waren in der dortigen Turnhalle geflüchtete Männer untergebracht. Nun stehen drei Burschen davor und rauchen. Er habe „das mit den Asylanten net so prickelnd“ gefunden, sagt einer. Weil die Schüler auf eine andere Turnhalle ausweichen mussten? „Ja, aber ich bin allgemein net so für Asylanten.“ Warum? „Die, die was tun, können bleiben. Aber net die, die nur Geld kassieren wollen.“

Sie kenne Sätze wie diese, sagt eine der Lehrerinnen. Es ist Pause, entsprechend laut ist es in der Schule. „Die Jungs“ müssten lernen, nicht immer nur in Schwarz und Weiß zu denken, sagt sie. „Die Jungs“ müssten lernen, zuzuhören, Argumente anzunehmen und zu beobachten ohne gleich zu bewerten. Das sei aber umso schwerer, wenn man die Vorurteile vom Elternhaus mitbekomme.

Am kleinen Bahnhof direkt vor dem Gelände wartet ein junger Mann, er kommt vom Deutschkurs. Vor zwei Jahren ist Ibrahim mit seiner Frau aus Libyen geflüchtet. Ihre Tochter ist in Sachsen zur Welt gekommen. Es gehe ihnen gut hier, sagt Ibrahim und schaut traurig. Ja, er besuche die Berufsschule und lerne dort Deutsch. Dann schweigt er. Erst nach einiger Zeit sagt er, dass er einsam sei. Eine Frau kümmere sich um ihn und seine Familie, das sei schön. Aber er bekomme so oft zu hören, die Flüchtlinge wollten nur das Geld der Deutschen.

Einmal über die Elbe, 20 Minuten zu Fuß von der Schule entfernt, liegt die Altstadt von Pirna.    Hier, in einem der vielen Läden, spricht sich eine Frau in Rage. In ihrem Geschäft hat sie die bunten Bänder der Kirchengemeinde aufgehängt, ein Willkommenszeichen für Flüchtlinge. „Immer dieses Gemeckere, dieses „die da oben“ oder „uns wird was weggenommen. Ja, was wird dir denn weggenommen?!“, sagt sie.

Pirna ist, wie es so schön heißt, eine „echte Perle“, direkt an der Elbe gelegen mit bezaubernden alten Häusern, die zum Teil noch aus dem 16. Jahrhundert stammen. Weder lassen sich Ressentiments und Fremdenfeindlichkeit daraus herleiten, dass es hier trist und trostlos sei und man deshalb einmal Dampf ablassen müsse. Und auch die Erklärung, es handle sich bei den Schreihälsen, Meckerern und Brandstiftern in erster Linie um frustrierte Arbeitslose und Jugendliche ohne Perspektive, weist unter anderem Petra Schickert vom „Kulturbüro Sachsen“ zurück. Ihr Verein will „rechtsextremistischen Strukturen eine aktive demokratische Zivilgesellschaft entgegensetzen“. „In Sachsen herrscht viel mehr die Stimmung vor: Jetzt sind wir endlich mal selbst gut dran, das soll uns jetzt nicht gleich wieder jemand wegnehmen“, sagt Schickert. „Ostdeutschland hatte bisher wenig Erfahrung mit Migration.“

Bautzens Bürgermeister Ahrens hält solche Abstiegsängste für „irreal“. „Ich weiß aber auch, dass man Ängsten nicht mit Argumenten beikommen kann. Das geht nur mit der Zumutung, die Erfahrung selbst machen zu müssen, dass die Ängste eben unbegründet sind.“ Sechs Flüchtlingseinrichtungen gebe es bereits in Bautzen – und diese hätten den positiven Beweis für verängstigte Bürger erbracht.

Das sahen nicht alle so. Und so gab es auch gegen den „Husarenhof“ große Vorbehalte und gegen engagierte Bautzener Einschüchterungsversuche. Anfang des Jahres bot „Bautzen bleibt bunt“ vor dem Hotel die Möglichkeit an, über das Thema Flüchtlinge zu sprechen. Nach und nach fanden sich auch Neonazis ein, immer mehr Menschen in schwarzen Jacken und schwarzen Hosen. Als der Informationsstand umgeworfen wurde, rief man die Polizei.

Vom „braunen Sachsen“ will Sebastian Reißig dennoch nichts hören. „Das ist Schubladendenken. Sachsen hat ein großes Problem mit Rechtsextremismus und zugleich gibt es so viele Initiativen gegen Rechts“, sagt der Geschäftsführer des Vereins „Aktion Zivilcourage“. Ein großes Problem sind in den Augen Reißigs die „Aber-Leute“ – jene, die bekunden würden, doch nichts gegen Flüchtlinge zu haben und dann ein „Aber“ hinterherschickten. Diese machten es den Radikalen leichter, loszuziehen mit dem Gedanken: „Das wollen ohnehin alle.“

Es sind Menschen wie die Verkäuferin in Pirna, die „an sich“ nicht zu beklagen hat, und dann hinzufügt, von den Älteren in der Stadt habe man „aber schon was gehört“. Was denn? „Na, so antanzen und klauen und so.“ Oder die Frau beim Zwischenstopp nach Bautzen in Bischofswerda, für die „persönlich alles okay sei mit den Flüchtlingen“ – und die dann bemerkt, dass „aber alle Länder Zäune bauen. Nur Deutschland nicht. Wir lassen sie alle rein.“ Oder der junge Mann in Bautzen, der mit Flüchtlingen nichts zu tun habe, aber wisse, dass „die Kriminalität schon höher sei als unter Deutschen“. Mit „denen sprechen“ gehe nicht, man könne ja noch nicht mal „mit denen ein Bierchen trinken wegen der Religion“. Ob er das schon einmal versucht habe? „Nein.“

Mitte der 1990er sei es gewesen, als der erste Dönerladen in Pirna aufmachte, erinnert sich Reißig vom Verein „Aktion Zivilcourage“ in Pirna. Der Besitzer sei beschimpft worden, Gerüchte hätten die Runde gemacht. Katzenfleisch sei das, Sperma habe der Mann ins Brot getan und Pflaster druntergemischt. Er selbst, sagt Reißig, habe sich mit Freunden durch die Speisekarte gekostet und sich über das Neue gefreut. Heute gebe es mehrere Dönerläden in der Stadt „und selbst für unsere Nazis ist das kein Thema mehr“.

„Es gab Zeiten, da dachte ich: Wir sind weiter. Nun müssen wir wieder ein Gebiet zurückholen.“ Man brauche einen langen Atem.

Erschienen in: Wiener Zeitung

02/2016

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