Renate Künast: „Bio muss für alle sein“

Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen und frühere Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft, Renate Künast, über den Bio-Boom, EU-Agrarsubventionen und „Klasse“ versus „Masse“.

Frau Künast, Bio boomt, aber noch immer hat „bio“ einen moralisierenden Beigeschmack. Kauft der „bessere Konsument“ bio?
Renate Künast: Nein, ich finde gar nicht, dass das einen moralisierenden Geschmack hat. In den Anfängen war das ein Ideal, und auch die Naturkostläden und Ökolandbaupioniere hatten eine feste Überzeugung. Das war auch eine moralisch-ethische Frage. Heute gibt es beides: die Altruisten und die Lifestyle-Stadtmenschen, die sagen: „Ich will mir selbst was Gutes tun.“ Und ich bin dankbar für jedes Prozent, das jemand in seinem Alltag verändert – man muss sein Leben ja nicht gleich ganz umstellen.

Manche kritisieren, dass es inzwischen auf dem Öko-Markt auch „Masse statt Klasse“ gibt.
„Klasse statt Masse“ war ja meine Antwort auf „Wachse oder Weiche“, auf Großbetriebe und Düngen ohne Ende. Was wir brauchen, ist „Masse“ im Sinn von „Menge“, ökologisch gewirtschaftet.

Wie erreicht man das? Als Agrarministerin wollten Sie, dass bis 2010 rund 20 Prozent der Landwirtschaftsfläche „öko“ sein sollen. Heute stehen wir bei 5 Prozent.
Dass visionäre Ziele nicht immer sofort erreicht werden, stört mich nicht. Es gibt einige Schrauben, an denen gedreht werden kann, wie die EU-Agrarreform. Die letzte hat ergeben, dass Grünland und Ökolandbau stärker unterstützt werden. Mehr muss durch die nächste Reform und den neuen Finanzplan passieren.

Durch die derzeit hohen Erzeugerpreise ist der Anreiz für konventionelle Bauern, auf „bio“ umzusteigen, gering. Nun will die EU-Kommission die Subventionen für Großbetriebe, die dazu wenig Personal beschäftigen, kürzen. Eine Chance für den ökologischen Landbau?
Die Kommission geht in die richtige Richtung, insofern muss man sie unterstützen. Aber das ist bei weitem noch nicht genug. Es geht um das Kriterium Arbeitsplatz und um das Kriterium Ökologie. Unser Vorschlag lautet: Reduzierung der Direktzahlungen auf eine Basisprämie. Einen „Klimabonus“ gibt es für den, der ökologisch gut arbeitet.

Wird „bio“ dann künftig günstiger für den Verbraucher?
An der Kasse ist Bio derzeit teurer – auch, weil im Ökolandbau die Erträge geringer sind.

Und was macht da ein Hartz-IV-Empfänger?
Deshalb will ich mehr Fläche für Ökoanbau und deshalb haben wir eine gemeinsame Vermarktung im Ökomarkt unterstützt, das reduziert Kosten. Das Ergebnis muss sein, dass sich jeder Hartz-IV-Empfänger öko leisten kann. Ich will aber mit einem aufräumen: Oft wird so getan, als sei konventionell billiger. Vielleicht an der Kasse. Nicht aber, wenn man an Folgekosten durch die Umweltbelastung bei Boden, Wasser und Wald denkt.

Manche meinen, „bio“ im Discounter sei Verrat.
Bio darf aber nicht exklusiv für Besserverdiende sein. Das wäre unsozial.

Soll man die Kriterien im Ökolandbau etwas herunterschrauben, damit mehr Bauern ihren Betrieb umstellen und das Ganze billiger wird?
Nein, in die Breite gehen heißt: Die einzige legitime Wirtschaftsweise muss Ökolandbau oder ein konventioneller mit hohen ökologischen Standards sein. Wir müssen die Gesellschaft so umbauen, dass bis 2050 in Deutschland minus 80 Prozent CO2 erreicht wird. Da können wir keine Kohlekraftwerke der Landwirtschaft – wie große Rinderhaltungsbetriebe – mit Steuergeldern mitfinanzieren.

Die Bio-Kette Basic wollte mit Hilfe von Lidl in die Breite gehen, mehr Filialen eröffnen.
Das Thema Basic ist schwierig – denn Basic hätte zuerst klarstellen müssen, nach welchen Regeln das Unternehmen arbeitet, bevor es Geld sucht. Durch den Beinaheeinstieg von Lidl hat die Branche auch gemerkt, wie sensibel Konsumenten sind. Der Ökolandbau kann nicht nur mit Geld von hundertprozentig überzeugten Ökos expandieren – aber ich will auch nicht, dass die Expansion allein durch den konventionellen Markt stattfindet, schon gar nicht mit inakzeptablen Arbeitsverhältnissen.

Sondern?
Auch die Banken müssen mehr Finanzmittel bereitstellen.

Bauernverbandspräsident Gerd Sonnleitner fordert, dass auf Bio-Produkten gekennzeichnet ist, woher sie stammen. Denn „bio“ sei nicht gleich „bio“. Eine gute Idee?
Ein Schelm, der Schlechtes dabei denkt. Warum fällt das Herrn Sonnleitner nicht auch für konventionelle Produkte ein? Die Frage muss grundsätzlich gestellt werden: Wo kommen unsere Lebensmittel her? Und: Ist das gute Leben nicht eines, das viel stärker auf Regionalität setzt?

Weg vom globalen Handel?
Niemand will den Welthandel stoppen. Aber: Würden alle Lebensmittel nach der Herkunft gekennzeichnet, sähe man, wie lang der Transportweg war. Regional wäre immer erste Wahl.

Renate Künast, geb. 1955, ist seit 2005 Vorsitzende der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen. Zuvor war sie Bundesministerin für Verbraucherschutz, Ernährung und Landwirtschaft. Die ausgebildete Sozialarbeiterin und Rechtsanwältin publizierte u.a. „Klasse statt Masse. Die Erde schätzen, den Verbraucher schützen“.

Erschienen in: taz
01/2008

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