Reinsetzen und loslegen

„Kaffee?“ Zwei Mal am Tag kann man Cappuccino bestellen. Den Schreibtisch muss ich dafür nicht verlassen: Der Kaffee wird an den Arbeitsplatz serviert. Im „Betahaus“ soll Arbeiten so „einfach und flexibel wie möglich“ sein, sagen die Gründer, eine Handvoll junger Freiberufler, die den „Coworking-Space“ vor drei Jahren im Berliner Bezirk Kreuzberg eröffneten. Seither vermieten sie tage- und monatsweise Schreibtische mit WLAN-Anschluss. In einer Mischung aus „entspannter Kaffeehaus-Atmosphäre und konzentriertem Arbeitsumfeld“ soll „Innovation und Kreativität“ gefördert werden, heißt es auf der Webseite – das klassische Büro hat ausgedient. Ich erwarb um 79 Euro eine „12er Flex“: Zwölf Mal darf ich mir einen freien Platz im Betahaus suchen.

Das „Betahaus“ steht in der Nähe der Oranienstraße, eine belebte Straße mit dutzenden Kneipen, Läden und türkischen Imbissen. Im dritten Stock der einstigen Fabrik hat man einen hübschen Blick auf Kreuzberg. Die Arbeitsräume sind groß und hoch. Kühl und schlicht sieht es hier aus. Es gibt mehrere Reihen mit Schreibtischen – Platte, Böcke -, eine Sofa-Ecke und ein paar weiße Regale. Pinnwände mit Fotos der Kleinen und Urlaubskarten, wie man es aus herkömmlichen Büros kennt, findet man keine. Am ehesten wirkt es hier wie in einer Bibliothek. Im „Betahaus“ aber wollen die meisten mit ihrem Tun Geld verdienen: 200 junge Menschen zwischen 20 und 40, Unternehmensgründer, selbständige Journalisten, Programmierer, Designer, Grafiker.

Ich bin hier, weil ich mir Anschluss erhoffe: Nach einigen Monaten wollte ich nicht länger Tag für Tag zuhause meine Texte schreiben. Die Zeit, in der ich es genoss, nicht mehr in der wuselnden, hektischen Atmosphäre einer Redaktion zu arbeiten, war vorbei. Mir fehlte Austausch, mir fehlte Bewegung und Struktur. In der Früh hatte ich mich im Pyjama an den Küchentisch gesetzt und zu arbeiten begonnen. In meinen Pausen hatte ich Geschirr gespült, staubgesaugt und Wäsche gewaschen.

Wie mir geht es vielen Freischaffenden. „Coworking ist oftmals die zweite Stufe der Selbständigkeit“, sagt Werner Eichhorst vom „Institut zur Zukunft der Arbeit“ in Bonn. In der ersten Zeit arbeite man meist von zuhause aus. Unklar ist, wie viele von einem Coworking-Space schließlich in ein eigenes Büro ziehen.

Dates

Im Café im Erdgeschoß ist am Donnerstag „Betabreakfast“. Auf dem großen, hellen Tisch in der Mitte stehen Gebäck, Marmelade, Nutella, Käse. Man schließt erste Bekanntschaften: „Und was machst du?“ Wer will, kann auch vor allen seine Arbeit präsentieren – so wie die drei jungen Männer von „Coffeecircle“, die zugleich „Start up of the week“ sind. Der gebürtige Salzburger Moritz Waldstein-Wartenberg verkauft mit seinen Mitgründern Robert Rudnick und Martin Elwert äthiopischen Gourmet-Kaffee und fördert Entwicklungsprojekte vor Ort. „Du setzt dich rein und legst los“, sagt Waldstein-Wartenberg über das „Betahaus“. „Und man hat eine Plattform und einen schnellen Zugang zum Netzwerk.“

„Beta people“ können außerdem eine kostenlose Rechtsberatung in Anspruch nehmen sowie die Sprechstunden „Steuer“ und „Versicherung“. Auch „Massagen für die Laptop-geplagten Schultern“ werden angeboten. Der Newsletter („Hello people in Beta!“) informiert über die „Dates of the week“. Das alles führte dazu, dass auch etablierte Unternehmen wie die Otto-Gruppe ihre Mitarbeiter im Betahaus arbeiten lassen: Man holt sich Anregungen von den jungen Kreativen. „Immer mehr große Firmen wie SAP, Daimler, Mozilla, Google kommen regelmäßig in unserem Space vorbei. Nicht selten springt dabei ein Auftrag für unsere Member heraus“, sagt Mitgründerin Madeleine von Mohl.

„Beta people“, „Member“, „Space“ – auch mit der Sprache will man sich vom gewohnten Büro distanzieren. Das Konzept geht auf: Das „Betahaus“ expandierte nach Hamburg und Köln, demnächst eröffnet das Betahaus Barcelona. An den Büros in Lissabon und Sofia wird gerade gearbeitet. Und in Berlin schießen derweil weitere „Coworking-Spaces“ wie Schwammerl aus dem Boden. Mehr als 50 gibt es bereits in der Stadt. Woran liegt das?

Berlin gilt seit Jahren als die Stadt der digitalen Bohème – jung, stylisch, mit Laptop in einem der unzähligen Cafés, aber oft ohne ausreichendes Einkommen. Doch nicht nur hier steigt die Zahl der „kreativ Selbständigen“. Insbesondere bei jüngeren Personen in großstädtischen Milieus beobachte man in diesem Bereich „eine deutliche Zunahme“, sagt Eichholz vom „Institut zur Zukunft der Arbeit“. Während die einen aber tatsächlich ihren Traum verwirklichen, ihr Unternehmen gründen und selbstbestimmt arbeiten, hätte manch anderer gern eine Alternative mit Absicherung. In Deutschland sind Selbständige weder in die Altersvorsorge noch in die Arbeitslosenversicherung verpflichtend einbezogen. Und für bestimmte Branchen sind Festanstellungen rar geworden. Die meisten Redaktionen sparen Mitarbeiter ein. So sei Coworking ein „kleines, aber wachsendes Phänomen“, sagt Eichholz.

Das „Weserland“ gibt es seit September. „Wir haben eine Firma zu dritt, machen iPhone-Apps und hatten keine Lust auf ein kleines Büro“, sagt Mitgründer Felix Hofmann. „Wir wollten etwas Gemütliches, Schönes, Helles, wo man auch gern ist, wir wollten aber nicht nur zu dritt bleiben.“ Die geeigneten Räume fanden die drei im Erdgeschoß eines Altbaus in Berlin-Neukölln – mitten in einem Viertel, das noch vor wenigen Jahren als heruntergekommen und kriminell verschrien war. Nun öffnen hier von Monat zu Monat mehr Kneipen, Läden und Coworking-Spaces.

Im ersten Raum stehen zwei lange weiße Bänke und ein großer weißer Tisch, an dem zwei Frauen vor ihren Laptops sitzen. „Das haben wir selbst gebaut“, sagt der 34-jährige Hofmann. Eine der jungen Frauen fragt ihn, ob sie ihren Laptop auf dem Tisch stehen lassen könne, während sie sich etwas zu essen hole. Im Raum daneben, der aussieht wie ein größeres Wohnzimmer, findet gerade ein Fotoshooting mit Modell und Stylistin statt: Der Fotograf habe sich in das grüne Sofa verliebt und wollte deshalb im „Weserland“ werken.

Für ein Paar Stunden

„Hier sind viele Leute, die zuvor zuhause gearbeitet haben. Wir haben Buchautoren, Journalisten, Illustratoren, Programmierer, Übersetzer, zwischendurch hatten wir auch einen professionellen Pokerspieler.“ Einige würden ein paar Wochen bleiben, andere so lange „ihr Projekt in Berlin dauert“. Pro Monat verlassen laut Hofmann etwa fünf Leute das „Weserland“, fünf neue kommen hinzu. Geworben wird mit Flyern, einer Webseite und viel Mund-zu-Mund-Propaganda. Als „Weserland“-Mitglied kann man sich in die geschlossenen Facebook-Gruppe aufnehmen lassen und seinen Namen und seine Tätigkeit auf eine Liste setzen – so ist man miteinander vernetzt und kann bei Bedarf schnell jemanden finden, der beispielsweise spanische Übersetzungen anbietet. 50 Euro pro Monat kostet der sogenannte Flexdesk im „Floating Space“. Was die drei daran verdienen? „Nichts“. Wenn es gut laufe, könne man das Büro kostenlos nutzen.

Ein paar Meter weiter, in der Hobrechtstraße, liegt das „Wostel“. Wie Felix Hofmann und seine Kollegen hatten sich auch die Textildesignerin Marie Jacobi und die Marketingberaterin Chuente Noufena eigene Büroräume gewünscht mit anderen zusammen, ohne eine feste Bürogemeinschaft zu gründen. Stattdessen sollte es auch Platz für Veranstaltungen und Ausstellungen geben.

Loretta hat sich eine 10-er-Karte um 80 Euro gekauft. Die 30-Jährige ist seit einigen Monaten Mutter und schreibt an ihrer Doktorarbeit. Es gefällt ihr, für ein paar Stunden die Wohnung verlassen und außerhalb arbeiten zu können – je nachdem, wie es ihr, ihrem Freund und dem Kleinen passt. Loretta mag den Stil des „Büros“, die alten, zusammengetragenen Schreibtische und Sessel. Und sie schätzt die Ruhe: Hier ist es anonymer als in einer festen Bürogemeinschaft, wo man als Freischaffender wie in einer WG Räume mietet und Arbeitsplätze einrichtet. Wer den Mistkübel ausleert, das Geschirr spült oder sich um einen neuen Internetanbieter kümmert, ist im „Wostel“, anders als in einer festen Bürogemeinschaft, kein Thema.

Ralf nimmt solchen Aufwand in Kauf. Der 39-jährige Journalist findet die Idee eines gemeinschaflich organisierten Büros gut. Ihn störe „dieses Betonen von Lifestyle mit Begriffen wie Desk-Sharing oder Floating-Space“, ob und zu welchen Bedingungen man Arbeit habe, trete in den Hintergrund. Auch deshalb hat er sich für ein vergleichsweise klassisches Modell entschieden: Seit wenigen Monaten teilt er mit einigen anderen freischaffenden Journalisten und Übersetzern zwei Arbeitsräume und eine Küche. Man kennt sich, bespricht zusammen die Einrichtung, diskutiert über Aufträge, Politik, die Liebe und den letzten „Tatort“ und trifft sich ab und zu auch außerhalb der Arbeit. Ich bin Mitmieterin geworden. Die Fluktuation ist deutlich geringer als in einem unverbindlichen Coworking-Space, außerdem hat jeder Mieter Einsicht in die Verträge und Kalkulationen.

Auch „Coffeecircle“ findet man nicht mehr im „Betahaus“. Das Unternehmen entwickelte sich so erfolgreich, dass man sich – mittlerweile zu elft – eigene Räume in Berlin suchte. Die 400 Quadratmeter in Kreuzberg teilt sich das Team mit einer Handvoll weiterer Mieter. Moritz Waldstein-Wartenberg schmunzelt: „Wir haben uns eigentlich ein kleines Betahaus nachgebaut.“

Erschienen in: Wiener Zeitung und Wirtschaftsblatt, 04/2012

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