Deutscher Wein: Kein süßer Fusel

„Einen Mercedes SL kaufen – aber die Weine müssen billig sein“: Winzer Wilfried Espenschied versteht seine Landsleute nicht. Denn für Essen und Getränke gibt der durchschnittliche Deutsche nicht gern viel Geld aus. Billigsupermarktketten boomen. Der Marktanteil von Diskontern liegt bei 44 Prozent; in Österreich sind es 25 Prozent. Dabei haben viele deutsche Weine mit dem Bild vom süßen Fusel mittlerweile nichts mehr zu tun.

Espenschied ist Winzer in Flonheim, einem kleinen Ort in Rheinhessen im Bundesland Rheinland-Pfalz. Mit einer Fläche von 26.400 Hektar ist Rheinhessen das größte der 13 deutschen Weinanbaugebiete. Die Landschaft ist lieblich und idyllisch mit, so heißt es, tausend sanften Hügeln. Ein paar Minuten vom Weingut der Espenschieds entfernt steht mitten im Weinberg ein Trullo wie man ihn aus Apulien kennt. Italienische Gastarbeiter hatten das weiße Rundhaus 1756 erbaut, es diente als Schutz vor Wind und Wetter. Von der Römerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg wurde in Flonheim Sandstein abgebaut. Auch etliche Barockhäuser mit hübschen Steinmetzarbeiten zeugen im Ort davon.

Dutzende alte Weinkeller gibt es im eine halbe Autostunde entfernten Guntersblum zu sehen, auf der linken Rheinseite zwischen Mainz und Worms gelegen. Einen Kilometer lang ist die Kellergasse – hier „Kellerweg“ genannt – an den den Guntersblumer Weinbergen. In Deutschland ist das einmalig. Gunther Hiestand hat hier sein Weingut. Die Marktlage beurteilt er ähnlich wie Espenschied: „Die Deutschen wollen es immer billiger, und die Winzer sagen, wenn ich den Wein teurer verkaufe, dann bleiben mir vielleicht die Kunden weg“, erklärt er. „Die Österreicher sind um einiges selbstbewusster als wir, seit sie nach dem Weinskandal 1984 auf Qualität gesetzt haben.“ Dazu ist Deutschland das weltweit größte Weinimportland: Deutsche Weine konkurrieren mit billiger Massenware aus der ganzen Welt. Auch das erklärt, warum deutscher Qualitätswein oft vergleichsweise günstig zu haben ist, auch in Österreich.

Mit dem Schiff oder mit dem Auto und der Fähre geht es weiter nach Eltville am Rhein – ein bezauberndes Städtchen in Hessen mit alten Fachwerkhäusern. Im Hof Bechtermünz in Eltville wurde vor 600 Jahren das älteste Wörterbuch der Welt gedruckt. Unter der Leitung von Johannes Gutenberg vervielfältigten die Gebrüder Bechtermünz ihr „Vocabularius Ex Quo“. Eltville zählt zum Weinanbaugebiet Rheingau: Auf einer Fläche von 3100 Hektar wird hauptsächlich Riesling angebaut; die trockenen, steinigen Südhänge eignen sich dafür besonders gut – aber nicht nur. Familie Koegler, der heute der Hof Bechtermünz gehört, baut auch Grünen Veltliner an. Grüner Veltliner? In Deutschland? „Ja! Die Sorte war früher im Rheingau beheimatet und er passt optimal auf die Böden der Eltviller Lagen.“ Die Koeglers waren auf der Suche nach einer säureärmeren Variante zum Riesling. So stieß man auf den Veltliner.

Der Familie Zimmer vom Hirschhof in Westhofen hat es wiederum der Muskateller angetan. Sie macht daraus ein besonders feines Tröpfchen: Biologischen Muskateller Sekt. Seit 20 Jahren betreibt der Hirschhof ökologischen Weinbau. 30 Hektar werden bewirtschaftet. Insgesamt hat Deutschland mittlerweile 5.000 Hektar, auf denen Bioweintrauben wachsen. Die Nachfrage ist zuletzt deutlich gestiegen: In den 1990er Jahren waren es 1.000 Hektar gewesen. „In einer Blindprobe können Sie keinen Unterschied herausschmecken zwischen Öko-Wein und konventionellem Wein“, sagt Tobias Zimmer. Den Unterschied macht das Wissen, auf Pestizide verzichtet und Böden und Tiere geschont zu haben.

„Nicht erschrecken“, sagt Zimmer auf dem Weg in seinen Weinberg. Tatsächlich sieht es recht wüst aus im Vergleich zum gepflegt wirkenden Nachbarweinberg. „Dort wurde das Unkraut abgespritzt. Wir haben absichtlich 25 verschiedene Samen gesät, Wicken, Ringelblume, Kornblume. Regenwürmer fühlen sich wohl und lockern den Boden auf. Nützliche Insekten fressen Schädlinge.“

Die Arbeit ist weit intensiver als bei konventionellem Wein. Doch mehr Geld für Ökowein als für konventionellen gibt es nicht automatisch. Bei anderen Bio-Produkten reicht das Label „öko“, damit der Preis höher angesetzt werden kann. „Beim Wein kommt es ganz stark auf die Vermarktung an“, sagt Zimmer. Winzer aus Ländern mit einem besseren Image als Deutschland – beispielsweise Frankreich – könnten deutlich höhere Preise verlangen, sagt Zimmer. Das Bild aber habe sich in den vergangenen zehn, fünfzehn Jahren bereits gebessert. „Wir können ganz gut leben.“

Erschienen in: OÖN 08/2011

About the author