Schule für Geflüchtete: Wenn Bits und Bytes Hoffnung geben

Angela Merkel wirkt noch etwas unlocker. Die deutsche Kanzlerin ist heute zu Gast in einer IT-Schule, untergebracht in einem ehemaligen Postamt aus den 1930er Jahren und hergerichtet wie man sich die Start-ups Berlins vorstellt: Viel Weiß, Glas, kein Schnick-schnack. Es gibt Paletten mit Sitzpölstern darauf und knallrote Hocker aus Karton.

Die „ReDi-School of Digital Integration“ wurde vor etwas mehr als einem Jahr gegründet. IT-affine Geflüchtete bekommen hier kostenlose Aus- und Fortbildungen, Kontakte zu Konzernen und Start-ups und in Folge Praktika und Jobs. Der Schulbesuch gibt Struktur und Ziel. Die Studentinnen und Studenten kommen aus ihrer Parallelwelt hinaus – die meist in erster Linie aus Flüchtlingsunterkunft, Gesprächen mit anderen Flüchtlingen und Behördengängen besteht.

Einer der 135 Studenten ist Mohammed Abdulkareen. Ohne ihn und Anne Kjaer Riechert gäbe es die Schule nicht. Riechert lernte den Softwareingenieur aus Bagdad in dessen Flüchtlingsheim kennen; Abdulkareen hatte keinen Computer und sorgte sich, den Anschluss in seiner Branche zu verpassen. Riechert organisierte daraufhin nicht nur einen Laptop – sondern gründete gemeinsam mit einigen anderen die„ReDi-School“. Unterstützt wird die gemeinnützige Einrichtung vom weltgrößten Netzwerk-Ausrüster Cisco, der Internetplattform Facebook und dem börsenotierten Stahl- und Metallhändler Klöckner und dessen IT-Tochter Kloeckner.i.

„Wir fanden es toll, dass junge Menschen ihre persönlichen Interessen hintanstellen, um andere junge Menschen zu unterstützen, die aus Krisenregionen geflüchtet sind“, sagt Kloeckner-Vorstandsvorsitzender Gisbert Rühl. Sein Unternehmen sehe eine soziale Verantwortung, deshalb engagiere man sich. Rühl nennt aber auch einen wirtschaftlichen Grund: Fachkräftemangel. Deutschlandweit fehlen der IT-Branche 51.000 Arbeitskräfte. „Ohne Zuwanderung können wir die Stellen derzeit gar nicht besetzen.“

Merkel steht zwischen Gründern, Sponsoren und Geflüchteten und stellt ein wenig hölzern ein paar Fragen. Dass nun der ehemalige Student Rami Rihawi Merkel von seinen Eltern begeistert Grüße aus Aleppo bestellt, macht die Sache nicht einfacher. Die Kanzlerin ist nicht gerade bekannt dafür, gern Gefühle zu zeigen. In emotionalen Momenten reagiert Merkel oft steif. „Dann grüßen Sie zurück“, sagt sie also und nickt. Als wenige Minuten später auch Softwareingenieur Abdulkareen die Gelegenheit ergreift und von der Mutter aus Bagdad grüßen lässt, lachen alle. Eigentlich wollte er ja noch etwas sagen, aber dazu kommt es nicht mehr.

App für den Behördendschungel
In einem der Unterrichtsräume wird der Kanzlerin nun im Schnelldurchlauf gezeigt, wie man codiert. Anschließend nimmt sie auf dem Podium Platz. Der syrische Programmierer Munzer Al Khattab berichtet von seiner App „Bureaucrazy“, die er an der „ReDI-School“ entwickelt und die dabei helfen soll, besser mit der deutschen Bürokratie zurecht zu kommen. „Ist die App kostenlos?“, fragt Merkel. „Ja!“, – „Na, die werden wir uns dann mal angucken.“ Dann will sie noch wissen, was das Schwerste in Deutschland gewesen sei. „An Informationen zu kommen“, antwortet Al Kthattab, „Das ist richtig schwierig“, sagt er und nach einer kleinen Pause: „Tut mir leid.“ „Das braucht Ihnen nicht leid zu tun“, entgegnet Merkel und ist nun sichtlich an den Behördenwegen der Geflüchteten interessiert: „Also, Sie kommen in Deutschland an, und dann Bundesamt, Lageso, Jobcenter, Bürgeramt – Prozeduren für Flüchtlinge. Kriegt man da über die App jetzt alle Informationen?“ „Die wichtigsten, ja. Aber wir haben das Problem, dass uns als Start-up noch niemand finanziert.“ „Ja, wie komm ich als Start-up an Kapital. Das ist auch ne Schwierigkeit“, murmelt Merkel.

Von der syrischen Studentin Louna Al Bondakji lässt sie sich anschließend die unterschiedlichen Deutschzertifikate erklären und die Sprachvoraussetzungen für ein Studium an einer regulären Universität. „Also, was ich heute schon mal gelernt habe: Jenseits von C1-Sprachniveau braucht es was Neues für den Hochschulzugang. Das scheint nicht immer ganz einfach zu sein“, sagt Merkel. Von Al Bondakji – eine der wenigen Studentinnen der „ReDi-School“ – ist sie sichtlich angetan. Ob Frauen und Männer unterschiedlich an die IT-Sachen herangingen, will sie wissen. „Die Jungs fragen öfter nach“, antwortet Al Bondakji. „Ich hab ja Physik studiert, da waren auch viele Jungs und wenig Mädchen“, sagt Merkel. „Man muss selbstbewusst sein und einfach sein Ding machen.“

„Ich zahle Steuern“
Im Nebenraum wurde einstweilen ein Buffet aufgebaut mit syrischem Essen. Das Catering „Jasmin“ hat Falafel, Hummus und Fattoush geliefert – ein Start-up, das an der „Redi-School“ gegründet wurde. Merkel verabschiedet sich; die Studenten, Gründer und Sponsoren essen und plaudern, unter ihnen Omar Alsabbagh und seine Frau Sana Abo Helal, die an der Universität Aleppo Computer-Ingenieurwesen studierten. Über ihre Studienwahl seien sie sehr froh – denn damit lasse sich überall einen Job finden. An der „ReDi-School“ wird ihr bestehendes Wissen erweitert. In Syrien habe man mehr mit Microsoft gearbeitet, sagt Abo Helal. In Berlin werde mehr auf Open source gesetzt. Die 24-Jährige studiert noch an der „ReDi-School“, ihr Mann hat bereits eine Stelle gefunden und ist darüber sehr froh: Man sei nun nicht mehr von staatlicher Hilfe abhängig, sagt er und betont stolz: „Ich zahle auch Steuern.“

Abgelehnter Asylantrag
Für jenen Mann, ohne den es die „Redi-School“ vermutlich nicht gäbe, läuft es indes nicht so gut. Mohammed Abdulkareen wohnt seit Juli 2015 immer noch in der Container-Unterkunft Buch im Nord-Osten Berlins, „dort, wo es den Brandanschlag gegeben hat.“ Berlin fehlen Wohnungen, Geflüchtete bekommen das meist noch stärker zu spüren als alle anderen, die auf der Suche nach einem neuen Zuhause sind. Auch Abdulkareen hatte bisher keinen Erfolg. Was für ihn aber weit schlimmer ist: Das Bundesamt für Migration lehnte seinen Asylantrag ab. Abdulkareen ging in Berufung und wartet seither ab.

Es gehe ihm sehr schlecht, sagt er. Es falle ihm schwer, etwas zu tun, er sei wie blockiert. Abdulkareen hofft, in Deutschland bleiben zu können – auch, um die Möglichkeit zu haben, seine App weiterzuentwickeln. Er habe gelesen, dass 800.000 Menschen in Deutschland stottern würden. Eine App könnte beim Training enorm helfen, man sei unabhängiger von Terminen beim Logopäden. Er habe mit einem Prototyp begonnen. Abdulkareen stottert selbst. „Es gibt Leute, deren Problem schlimmer ist als meines“, sagt er. „Ich will ihnen etwas geben. Ich will ihnen helfen.“ Das alles wollte er eigentlich noch der Kanzlerin erzählen.

Erschienen in: Wiener Zeitung

05/2017

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