Alle Bänder stehen still: Die Bankenkrise trifft die Automobilindustrie

Motoren und Getriebe braucht gerade niemand. Im Opel-Werk in Wien-Aspern wurden im vergangenen Jahr aber 1,58 Millionen davon hergestellt. Dieses Jahr werden es 100.000 weniger sein. Seit Montag ruht die Produktion bis zu zehn Tage lang. Die 1850 Mitarbeiter müssen Plusstunden oder Urlaub ab- oder Minusstunden aufbauen. Anfang November wird dann das Gleiche im größten BMW-Motorenwerk passieren: Die Arbeiter werden zuhause sein und nicht in der Fabrik in Steyr.

Drastischer geht es beim Autozulieferer Magna in Steyr zu. Der hat 2616 Mitarbeiter ab November zur Kurzarbeit angemeldet. Drei bis vier Monate soll die Regelung gelten, mit einer anschließenden Beschäftigungsgarantie von vier Monaten.

Es werden zu wenige Autos gekauft. Im sonst absatzstarken September sind in Europa um 8,2 Prozent weniger Pkw zugelassen worden; von Jänner bis September waren es in der EU-15 minus fünf Prozent, vergleichsweise stark ist der Absatz noch in den neuen EU-Ländern.

Jetzt steht für die Branche fest: Der Staat soll einspringen. Er hilft ja auch den Banken, und die haben ja schließlich zu einem Gutteil selbst Schuld an der Misere. Der Zentralverband Deutsches Kraftfahrzeuggewerbe träumt von Schecks, die der potentielle Autokäufer von der Regierung erhält. Der europäische Automobilherstellerverband wiederum fordert 40 Milliarden Euro für ein niedrig verzinstes Kreditpaket, mit dem die EU den Autobauern helfen soll. Andernfalls sei man gegenüber den USA benachteiligt.

Der US-Kongress hatte Ende September nämlich 25 Milliarden Dollar an Garantien für günstige Kredite für Autobauer gebilligt. Auch Präsident Nicolas Sarkozy stellte klar, Frankreich werde seine Produzenten mit 400 Millionen Euro unterstützen. Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel folgte nach: Die Lage der Automobilindustrie müsse „gesondert begutachtet“ werden.

Das hört man auch in Österreich gern: „Deutschland ist ein wichtiger Markt für uns, wir sind davon abhängig“, sagt Walter Linszbauer. Dem Geschäftsführer vom Fachverband der Fahrzeugindustrie in der Wirtschaftskammer ist „jedes Mittel recht“, das die Branche stützt. Es gehe schließlich um Arbeitsplätze.

Tatsächlich hängen an seiner Branche viele andere. Neben jenen Unternehmen, die in Österreich Motoren, Getriebe, Felgen, Windschutzscheiben, Sitzbezüge oder Armaturenbretter herstellen, verdienen Versicherungen, der Straßenbau, die Mineralölverarbeitung, Tankstellen oder der Handel an den Autofahrern.

Das Argument für die Hilfen lautet dabei nicht nur „Jobs“. Daneben gibt es das zweite, ganz große Thema: Umwelt- und Klimaschutz. Es gehe nicht nur darum, um jeden Preis Autos herzustellen, die dann ohnehin keiner kauft, heißt es seitens der Unternehmen. Man brauche das Geld, um in Forschung und Entwicklung für leichtere, bessere, schadstoffärmere Fahrzeuge zu investieren.

„Der enorme Ölpreisanstieg hat einen Prozess in Gang gesetzt. Der hat auch bei den Kunden ein Umdenken bewirkt“, sagt Klaus Abberger vom Münchener Institut für Wirtschaftsforschung. Von Geldern für die Produzenten, um diesen Prozess zu beschleunigen, hält er aber nichts: „Die Autobranche ist für Deutschland sehr wichtig ist. Aber wo würde man denn mit den Subventionen aufhören?“ Tatsächlich haben sich auch schon die Landwirte und der Verband des deutschen Handwerks gemeldet.

So sorgen sich die Arbeiter und Angestellten der Autoindustrie um ihre Jobs. Denn wer weiß schon, wie es weitergeht? Folgt auf den Produktionsstopp die Kündigung? Oder bekommt man doch wieder mehr Menschen dazu, sich ein Auto zu kaufen, vielleicht eines, das weniger Sprit frisst und deshalb langfristig gesehen dem Geldbörsel und der Umwelt besser tut als das alte?

Da muss man erst einmal hinkommen. Nicht, dass die Autobauer bislang gar nichts getan hätten. Von gescheiterten Prestigeobjekten des VW-Chefs Ferdinand Piech – ein Liter für 100 Kilometer – abgesehen, entwickeln beispielsweise Mitarbeiter von BMW in Steyr Motoren, die weniger Kraftstoff verbrauchen sollen. „Das Ding muss weltweit in unsere Autos hinein, sonst bringt es das nicht“, sagt Sprecher Rudolf Handlgruber und erzählt vom „ganzheitlichen Konzept“, von der Reduzierung des Fahrzeuggewichts und der Verringerung mechanischer Reibung. Eine Möglichkeit, sich von der Konkurrenz abzuheben, den Markt anzukurbeln.

So richtig attraktiv war Umwelt- und Klimaschutz für die Autobauer bislang ja nicht – und im Zweifelsfall verwies man auf den Kunden. Was der nicht kaufe, könne auch nicht angeboten werden.

Das Henne-Ei-Problem also. Denn natürlich kostet die Entwicklung eines spritsparenden Autos. Natürlich sind die Kosten umso höher, je niedriger die Stückzahl ist. „Was wird passieren“, so fragt Daniel Kluge vom alternativen Verkehrsclub Deutschland, „wenn sich die Zeiten wieder ändern?“

Das tun sie übrigens gerade: Schon ist der Ölpreis nach seinem Rekordhoch eingebrochen. Selbst wenn man davon ausgeht, dass Energie langfristig teurer wird, glauben Kluge und der Münchner Ökonom Abberger, dass es zusätzliche Anreize für Produktion und Kauf spritsparender Autos braucht.

Beide können sich für Deutschland eine gestaffelte Kfz-Steuer vorstellen: je niedriger der Kohlendioxid-Ausstoß, umso niedriger die Steuer. In Österreich gibt es seit Juli bereits ein solches Bonus-Malus-System auf die NoVA, die Normverbrauchsabgabe bei der Zulassung – wegen Widerstands wurde diese Regelung aber nicht so streng umgesetzt wie ursprünglich angedacht.

Widerstand der Autoindustrie gibt es auch gegen die Pläne der EU-Kommission, wonach die ab 2012 verkauften Autos nicht mehr als 130 Gramm Kohlendioxid pro Kilometer an die Umwelt abgeben dürfen.

Auch Frankreich fordert nun, die Auflagen erst ab 2015 vollständig gelten zu lassen. Die Autobauer bräuchten Zeit, um zu handeln.

Das ideale Argument, um die Pläne hinauszuzögern: Die Industrie stehe derzeit ohnehin schon unter hohem Druck.

Reinhard Hofer bestätigt das. Der stellvertretende Betriebsrat für Arbeiter bei Magna-Steyr berichtet zwar von „laufenden Entwicklungen“ für sparsamere Fahrzeuge im Werk – bis es aber serienmäßig erschwingliche umweltschonende Autos gebe, das dauere einfach.

Spätestens dann aber könnte sich die derzeitige Kaufzurückhaltung wieder ändern. Und schon jetzt gibt er sich optimistisch, trotz Kurzarbeit: „Wir wissen, dass im ersten und zweiten Quartal wieder neue Projekte einlaufen“, sagt Hofer. „Jetzt tauchen wir das Tief durch.“

Erschienen in: Falter 10/2008

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