Das Ende des Hampel-Fußballs

Zwei Umfragen, ein Ergebnis: Die Mehrheit der Deutschen drückt am Samstag im Champions-League-Finale in London Dortmund die Daumen und nicht dem FC Bayern. Warum? Liegt es an der Abneigung zu Bayern oder der Verbundenheit mit Dortmund? Was hat Dortmund, das München nicht hat? Hat es etwas mit Arm gegen Reich zu tun, hier das wirtschaftlich darbende Ruhrgebiet, dort die Großkopferten aus dem Süden?

Das Ruhrgebiet ist bekannt für Zechen, Bier und Fußball, es steht für Arbeiter und eine steigende Zahl Arbeitsloser. Wer einmal an einem Samstag durch den Dortmunder Hauptbahnhof gegangen ist, kann durchaus glauben, dass es nicht viel Wichtigeres gibt im Leben eines Dortmunders als den Verein mit den Farben Schwarz-Gelb. Aus allen Ecken der Stadt reist man an – und wer außerhalb wohnt, kommt eben von dort. Für die Strecke Berlin-Dortmund braucht die Deutsche Bahn dreieinhalb Stunden.

Wenn man mehr über die Sympathien der Deutschen für Dortmund wissen will, fragt man am besten Philipp Köster, den Chefredakteur des deutschen Magazins für Fußball-Kultur „11 Freunde“. „Die Borussia macht seit drei Jahren alles richtig. Und sie stilisiert sich als der kleine David, der vielleicht mal gegen den großen Goliath ankommt. Das mag man“, sagt Köster. „Der FC Bayern verkörpert dagegen alles, was Deutschland ist und eigentlich sein will – was man aber dann doch auch erschreckend findet: Man ist erfolgreich, perfekt durchorganisiert, und die Spieler fahren auch noch Audis.“ Der Autohersteller aus dem bayrischen Ingolstadt ist einer der Großanteilseigner des Vereins. „In den 1990ern hatte der Bayern-Hass fast pathologische Züge“, sagt Köster. Inzwischen aber sei anerkannt, wie gut der Fußball der Bayern ist. Und den Bayern jene Abneigung entgegenzubringen, die sie aus Sicht der „Hasser“ verdient hätten, falle schwer bei Spielern wie Franck Ribéry, Thomas Müller oder dem Wiener David Alaba. „Das sind Leute, die man großartig findet. Und dann stellt man fest, dass sie bei Bayern spielen.“

Nachwuchs und Geld

Von Dortmund, sagt man, hat sich Bayern das Gegenpressing abgeschaut: Ist der Ball verloren, wird sofort versucht, ihn wiederzuholen, anstatt sich zurückzuziehen. Man baut beim Gegner Druck auf, das Spiel wird in die Hälfte des Gegners verschoben. „Mit diesem Spielsystem gepaart mit der Masche, doch eigentlich Außenseiter zu sein, fährt Dortmund-Trainer Jürgen Klopp sehr gut“, so Köster.

Klopp hat den Klub sehr schnell auf Vordermann gebracht, eine richtige Mannschaft geformt, Bodenständigkeit einziehen lassen nach den Zeiten des „Größenwahns und der Großkotzigkeit“ zur Jahrtausendwende: Man war an die Börse gegangen, hatte Tochterfirmen wie Hotels gegründet und schlitterte schließlich an der Insolvenz vorbei.

Wie mit Dortmund ging es überhaupt in den vergangenen Jahren mit dem Fußball in der Bundesrepublik bergauf. Nicht gerade schmeichelnde Worte findet Köster, wenn er an die Jahre vor der WM 2006 in Deutschland denkt – er spricht von „Hampelfußball“ und „einem schlimmen Spiel, das noch schlimmer wurde“.

Schließlich baute man die Nachwuchsförderung um. Laut Lizenzverordnung für die erste und zweite Bundesliga sind Leistungszentren zur Förderung für die Vereine nun verpflichtend. „Talente gehen einem nicht mehr durch die Lappen, sofern das Kind Vereinsfußball spielt und nicht Dressurreiten macht.“

Der Verband und die Vereine arbeiten heute vergleichsweise gut zusammen. Die Fernsehverträge bringen gutes Geld, das wiederum so vergeben wird, dass der Wettbewerb unter den Klubs in Gang gehalten wird. „Heute ist Fußball ein gesamtgesellschaftliches Vergnügen. Frauen, Familien, Begütete, Politiker, Schauspieler – diese Mittelschicht in den Stadien, das findet man so auch in Frankreich nicht. Und anders als in England hat man es hier geschafft, Exzesse zu vermeiden“, sagt Köster. Mehr oder weniger rechtsfreie Räume wie etwa in Italien, wo Ultras das Sagen haben, gibt es hierzulande auch nicht.

Jetzt schaut Deutschland nach Wembley und fiebert dem Samstag entgegen. Wer wird gewinnen? Köster windet sich ein wenig und nennt Bayern. „Der FC Bayern ist zurzeit tatsächlich noch besser als Dortmund“, sagt er. „Aber ich habe in den letzten 20 Jahren kein einziges Endspiel richtig getippt.“

Erschienen in: Wiener Zeitung, 05/2013

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