Alles echt Österreich – einschließlich Dekolleté

Österreich, das sind Alpen, Wiener Schnitzel und Jörg Haider. Ein bisschen von diesem Österreich gibt es nun in Berlin, mitten in Kreuzberg, schräg gegenüber von dort, wo Sven Regeners Romanfigur Herr Lehmann seinen Schweinebraten gegessen hat. Draußen steht eine Gondel, drinnen hängen Sesselliftstühle um die Theke. Die österreichische Freundin nervt das alles, das viele Holz, die teils auf Blasmusik gemachte Popmusik, das „Servus!“ und „Griaß eich!“. Aber sie findet die Debreziner Würstel toll, den Leberkäse und das Grammelschmalz, den Schnaps und das Salzburger Bier.

„Ich bin der Walter Junger“, sagt Walter Junger, der Besitzer des Lokals, und setzt sich zu uns: „Grüß euch!“ Der Salzburger hat für die Ritz-Carlton-Gruppe gearbeitet, zuletzt in Berlin, dann hat er ein Hotelberatungsunternehmen aufgemacht und Lust auf Leberkäse gekriegt. Deshalb gibt es jetzt das No Kangaroo, so soll die Gründungsgeschichte nach Junger sein. „No Kangaroo“ – es ist der alte Schmäh mit „Austria“, „Australia“ und den Kängurus, mit dem Österreicher andern ihre Herkunft erklären.

Junger sagt begeistert: „Wenn Sie bei uns auf den Berg gehen, dann kriegen Sie das, was wir hier haben!“ Die Kellnerin im Dirndl, der Wirt in der Lederhose, manche Gäste ebenso. Ein hübsches Dekolleté sei das, bemerkt am Nebentisch die ältere Frau zur jüngeren. Üblicherweise würde sie ja so was nicht tragen, antwortet die, wagt einen Blick in Richtung eigenen Vorbau – und lächelt nicht ohne Stolz. André Heller und Wolfgang Ambros singen gerade „Für immer jung“. Von der Decke baumelt Speck, im Eck steht ein alter Ofen, über der Wäscheleine hängen Hosen. „Das ist kein Disneyland. Das ist alles echt hier!“, sagt Junger. 16 Tonnen verarbeitetes Holz, 300 Jahre alt, 50 verschiedene Weine, natürlich auch aus Österreich. Salzburger Stiegl Bier, Wiener Meinl-Kaffee, Fleisch aus Oberndorf. „Du, Frau Ablinger, mia breichatn eichare Würschtln und eichar Fleisch do in Berlin, hab ich zur Frau Ablinger gesagt“, sagt Junger. Seither liefert die Frau Ablinger dreimal die Woche.

„Wir wollen kein Gourmetrestaurant sein, wir wollen urig sein!“, sagt der Chef. Bisserl Hütte, bisserl Heuriger, bisserl Partystimmung, alles made in Österreich. Einzig die Birken, die den Gang zur Toilette säumen, stammen aus Brandenburg. „Bitte nicht in den Wald pinkeln“ steht auf einer genagelt. Junger sagt, er finde, sein Lokal passe perfekt ins Multikulti-Kreuzberg. Dem, dass FPÖ und BZÖ bei den Parlamentswahlen im Oktober 30 Prozent bekommen haben, kann er gar nichts abgewinnen. Diesen Teil von Österreich, den mag er nicht.

Erschienen in: taz, 12/2008

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