Dem Ruhrpott geht die Kohle aus

„Die Stadt ist tot. Da is Feierabend.“ Werbung für die Heimat klingt anders. Doch so sind die Menschen im Ruhrgebiet: grade heraus. Wo es nichts zu beschönigen gibt, beschönigt man auch nicht. „Allet dicht. Nur noch so Hoppla-Hopp-Läden“, sagt der Rentner im Ruhrgebiet-Dialekt und erklärt, wie man vom Bahnhof ins Zentrum von Oberhausen kommt, der Stadt mit der höchsten Pro-Kopf-Verschuldung Deutschlands. Jeder der 213.000 Einwohner hat demnach 9000 Euro Verbindlichkeiten.

Der erste Eindruck der Stadt wird – anders als vermutet – nicht von atemberaubender Tristesse geprägt. Auf dem Friedensplatz sind großzügige Blumenbeete angelegt, zusammen mit den Platanen sieht das hübsch aus. Hier jedenfalls bröckelt nicht der Verputz von den Hauswänden, die Fensterscheiben sind ganz: Nicht nur Oberhausen, sondern sämtliche Ruhrgebietsstädte sind mittlerweile auch berühmt für ihre ärmlichen Straßenzüge. Fünf Millionen Einwohner hat der „Pott“, er ist der größte Ballungsraum Deutschlands – und hochverschuldet.

In der nicht besonders langen Oberhausener Fußgängerzone stehen Geschäftslokale leer. Es gibt ein paar Filialen der üblichen Ketten – darunter Thalia und Tchibo – und etliche kleine „Mode“-Läden. Große Baukunst sieht anders aus. Doch darum ging es in der Nachkriegszeit nicht. Schnell und effizient wurden die Städte im „Pott“ wiederaufgebaut, nachdem die Industrieregion – „die Waffenschmiede des Deutschen Reiches“ – in Schutt und Asche gebombt worden war. Oberhausen? „Da oben, nach dem Café is nix mehr. Dat is Oberhausen“, antwortet ein 59-jähriger Mann in der Fußgängerzone, wie das Leben hier so sei. „Schulen gehen kaputt, der ganze Ruhrpott ist kaputt. Der Osten blüht, der Westen geht unter.“ Wen er bei den Landtagswahlen am 13. Mai wählen werde, wisse er nicht. Denn welche Partei solle schon etwas ändern können, es fehle doch hinten und vorne das Geld.

Kohle und Stahl waren einmal

Nach dem Weltkrieg hat der „Pott“ wesentlich dazu beigetragen, aus der Bundesrepublik ein florierendes Land zu machen. Kohle und Stahl wurden mit öffentlichen Geldern besonders unterstützt. Doch Billigimporte und Erdöl machten dem deutschen Steinkohlebergbau zunehmend Konkurrenz. Schon Ende der 1950er Jahre begann das „Zechensterben“. Im „Pott“ wird tiefer als andernorts auf der Welt gefördert, bis zu 1500 Meter geht es hinunter. Dazu sind die Sicherheitsstandards hoch und die Arbeitskraft ist teurer als in China oder Lateinamerika. Trotzdem wurde der Steinkohlebergbau weiterhin subventioniert. Nun soll 2018 die letzte verbleibenden fünf deutschen Zechen geschlossen werden. Einst, zu Zeiten des Wirtschaftswunders, gab es 500.000 Bergleute im Pott. Heute sind es 20.000.

So sind allein in Oberhausen seit den 1970er Jahren mehr als 50.000 Arbeitsplätze weggefallen. Wer Glück hat, arbeitet in Duisburg oder Düsseldorf. Die Kommune ist mit steigenden Sozialkosten und sinkenden Gewerbesteuereinnahmen konfrontiert. Um die laufenden Kosten bedienen zu können, werden besonders teure kurzfristige Kredite aufgenommen. Zusätzlich zahlte seit 1991 allein Oberhausen 270 Millionen Euro an „Ostförderung“. Der sogenannte „Solidarpakt“, für den Ost- und Westdeutsche aufkommen, gilt bis 2019, und der Frust vieler im Pott entlädt sich gern an diesem Thema: Man denkt an fein restaurierte Städte wie Leipzig, Dresden, Weimar und Potsdam und vergisst dabei, dass es auch im „Osten“ nach wie vor ärmliche Gebiete gibt. Dass aber die Förderpolitik „zunehmend gesamtdeutsch“ orientiert sein müsse, und alle strukturschwachen Regionen in Deutschland „in gleicherweise behandelt werden“ sollten, finden auch die Autoren einer Studie, die die Bundesregierung in Auftrag gegeben hatte, deren Ergebnisse sie dann aber monatelang nicht öffentlich machte.

„Wir fühlen uns gar nicht so arm“, sagt eine junge Frau über sich und ihren Freundeskreis. Doch auch sie beobachte, dass viele einander ehrenamtlich unterstützten. Die Bürger würden Aufgaben der Stadt übernehmen, Nachmittagsbetreuung für Schüler oder einen kostengünstigen Mittagstisch organisieren. Die Stadt hat etliche öffentliche Schwimmbäder längst geschlossen, hunderte Stellen im öffentlichen Bereich gestrichen, die Öffnungszeiten der städtischen Einrichtungen gekürzt. Für Bordellbetreiber wurde eine „Sexsteuer“ eingeführt. Man habe die Hundesteuer erhöht und die Hunde nochmals gezählt, damit auch ja keiner vergessen werde, sagt Finanzlandesrat Apostolos Tsalastras – SPD-Politiker und Kind griechischer Gastarbeiter. Über Witze über Griechen, die doch nicht mit Geld umgehen könnten, mag Tsalastras auch nicht mehr freundlichkeitshalber lächeln. Es müsse leider in allen Bereichen der Stadt noch weiter gespart werden, auch beim Theater, bei den Kurzfilmtagen, der Musik- und der Volkshochschule. Wie andere Kommunen in ähnlicher Lage brauche Oberhausen „dringend Unterstützung des Bundes“, sagt Tsalastras und meint damit in erster Linie den Solidarbeitrag.

Um die Lage zu entschärfen, beschloss die Rot-Grüne Landesregierung im vergangenen Dezember Hilfen für die hochverschuldeten Ruhrgebietsstädte. So soll auch Oberhausen in den nächsten zehn Jahren einen ausgeglichenen Haushalt vorweisen. Bis 2015 bekommt die Stadt jährlich 67 Millionen Euro, 40 Millionen müssen dafür pro Jahr gespart werden. Gegen große Projekte und Investitionen, die Arbeitsplätze bringen, hätte man natürlich nichts – doch welche Kommune wünscht sich das nicht?

Viel erhoffte sich die Region vom Titel „Kulturhauptstadt“, den 53 Ruhrgebietsstädte im Jahr 2010 gemeinsam trugen. Nicht dreckig und trist, sondern aufregend und grün sei es hier, so wurde für den Pott geworben. Gelogen ist das nicht. Und tatsächlich brachte „Ruhr2010“ ein besseres Image und mehr Touristen. Aus alten Zechen und Fabriken wurden tolle Museen; mit dem Gasometer hat Oberhausen ein besonderes Highlight: In einst Europas größtem Scheibengasbehälter werden heute Ausstellungen gezeigt. Die Stellen im Bergbau kompensiert die Kultur freilich nicht. „Wir brauchen keine Trauerarbeit mehr, dass es mit dem Steinkohlebergbau vorbei ist“, sagt die Grüne Sylvia Löhrmann, bisher stellvertretende Ministerpräsidentin in NRW. Weder ökonomisch noch ökologisch sei der Bergbau sinnvoll. Es werde „höchste Zeit für eine Gesamtstrategie Ruhr“, erklärte sie kürzlich in Oberhausen. Der „lokale Egoismus“ müsse aufgebrochen werden, immer noch sehe jede Stadt vor allem ihren eigenen Kirchturm. Anders als gedacht, fühlen sich die Bewohner des Potts in der Regel nicht als eine große Einheit, was sich auch in teuren Prestigeprojekten der einzelnen Städte widerspiegelt.

Und so freut man sich auch in Oberhausen nicht so sehr darüber, dass Borussia Dortmund erneut Deutscher Meister wurde. Zur miesen Situation sei nun auch noch Rot-Weiß-Oberhausen abgestiegen, sagt ein Oberhausener. „Doch wie sachte der Kabarettist Frank Goosen: ,Woanders is auch scheiße‘.“

Erschienen in: Wiener Zeitung 05/2012

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