Markus Beckedahl: „Das schärfste Schwert gegen Journalisten“

Markus Beckedahl ist zurzeit Deutschlands berühmtester Journalist. Gegen ihn wurde „wie gegen einen Terroristen“ ermittelt.

Es hat 35 Grad, im Büro des Blogs netzpolitik.org – einem Dachgeschoß in einem Berliner Gewerbehof der Gründerzeit nicht weit vom Alexanderplatz – steht die Luft. Markus Beckedahl aber wirkt entspannt. Das ist umso überraschender, da er, wie er sagt, kaum geschlafen hat. Gegen den 39-jährigen Gründer von netzpolitik.org wurde bis Montag wegen Landesverrats ermittelt. Der Blog veröffentlichte zwei Mal interne Akten des Inlandsgeheimdienstes, wonach die Netzüberwachung ausgeweitet werden solle. Beckedahl erfuhr Ende Juli von den Ermittlungen gegen ihn und seinen Kollegen André Meister. Die Empörung ist nach wie vor groß. Von der Regierung hieß es zunächst, sie habe von der Sache aus den Medien erfahren. Die Pressefreiheit sei „ein hohes Gut“. Der Justizminister, Heiko Maas (SPD), entließ Generalbundesanwalt Harald Range, Deutschlands obersten Terror- und Spionageermittler. Als Zuständiger hatte dieser die Ermittlungen gegen netzpolitik.org auf die Anzeige des Inlandsgeheimdienstchefs hin eingeleitet.

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Herr Beckedahl, Gratulation zum Preis „Deutschland – Land der Ideen“. Der Preis zeichnet Projekte aus, die dem Image von Deutschland förderlich sind, er wird auf Initiative der Regierung vergeben.

Markus Beckedahl: Wir freuen uns natürlich, jetzt eine Urkunde zu haben, die vom Bundespräsidenten unterzeichnet ist und die uns eine schöne Arbeit „im Land der Ideen 2015“ – also Deutschland – bescheinigt.

Ein origineller Zufall, denn den Preis haben Sie letzte Woche bekommen – am Höhepunkt der „Landesverrats“-Affäre. Die Ermittlungen wurden nun doch eingestellt. Sind Sie zufrieden?

Wir gehen gestärkt hervor, es gibt eine riesige Solidarisierungswelle, wir haben viele Spenden bekommen, in einer Woche fast so viele wie im gesamten letzten Jahr. Damit können wir unsere Redaktion aufstocken und haben immer noch Geld für rechtlichen Beistand. Aber dass die Ermittlungen eingestellt wurden, reicht uns natürlich nicht.

Warum nicht?

Fast drei Monate lang wurde gegen uns als Journalisten wegen Landesverrats ermittelt und die Bundesregierung hatte suggeriert, dass sie davon nichts wusste. Uns drohte Gefängnis. Das hätten wir in diesem Rechtsstaat nicht für möglich gehalten. So etwas kannten wir bisher nur aus der Berichterstattung über die Arbeit von Journalisten aus repressiven Regimen. Bis jetzt wissen wir nicht, ob wir Opfer von Überwachungsmaßnahmen geworden sind. Wir wollen natürlich nicht, dass zur Tagesordnung zurückgegangen wird.

Wer soll noch zurücktreten? Harald Range, bis letzte Woche Deutschlands oberster Terror- und Spionageermittler, wurde wegen der Affäre in den Ruhestand versetzt.

Wir fordern keine Rücktritte, das sollen andere machen. Wir fordern Klarheit darüber, wer von diesen Ermittlungen gewusst hat. Und wir fordern Transparenz darüber, ob wir als Journalisten und Privatpersonen überwacht wurden mit all dem Arsenal, das Sicherheitsbehörden gegen Terroristen zur Verfügung steht.

Ihr Autor Daniel Harwiger schrieb kürzlich, das Leaken von Dokumenten – „das neuerdings Landesverrat heißt“ – habe bei netzpolitik.org Tradition. Sie seien so gesehen schon seit geraumer Zeit Landesverräter. Warum wurde der Verfassungsschutz – der Inlandsgeheimdienst – gerade jetzt aktiv?

Frühere Dokumente, die wir veröffentlicht haben, kamen nicht direkt vom Verfassungsschutz. Jetzt fühlte sich der Geheimdienst auf den Fuß getreten, weil er direkt betroffen war.

Der Verfassungsschutzpräsident war verärgert über eine Indiskretion in seinem Haus?

Das wissen wir nicht. Aber für uns sind die Ermittlungen ein Einschüchterungsversuch gegen unsere Arbeit und gegen die Arbeit aller Journalisten, die versuchen, Licht ins Dunkel der Überwachungsaktivitäten zu bringen. Und die Ermittlungen waren ein Einschüchterungsversuch gegen unsere Quellen.

Warum sollte das so sein?

Die Antwort der Bundesregierung zwei Jahre nach dem Start der Enthüllungen von Edward Snowden ist nicht Reform und Abbau der totalen Überwachung, sondern mehr Überwachung. Eine Debatte darüber ist offensichtlich nicht erwünscht, wie dieser Einschüchterungsversuch zeigt. Ohne uns wüsste die Öffentlichkeit nicht, dass die Internetüberwachungsfähigkeiten des Verfassungsschutzes massiv ausgebaut werden, dass es 75 Spione geben soll, die Chats und Facebook überwachen. Und ohne unsere Veröffentlichung könnten wir auch nicht darüber diskutieren, ob wir das als Gesellschaft jetzt gut oder schlecht finden.

Warum kamen der Chef des Inlandsgeheimdienstes bzw. der entlassene Generalbundesanwalt Ihrer Ansicht nach auf „Landesverrat“?

Es ist noch immer unklar, wie sich Topjuristen beim Generalbundesanwalt dazu überreden lassen konnten, Ermittlungen wegen Landesverrats gegen uns zu starten. Klar ist, dass es sich um an den Haaren herbeigezogene rechtliche Konstruktionen handelte, die offensichtlich nur rein politisch motiviert waren.

Der Vorsitzende des parlamentarischen NSA-Untersuchungsausschusses, der CDU-Abgeordnete Patrick Sensburg, sagte, Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen habe seine Pflicht getan, er musste schließlich gegen undichte Stellen in seinem Haus vorgehen.

Man kann ja darüber diskutieren, ob so ein Behördenchef Anzeige wegen einem Leck stellt. Aber wenn ein Behördenchef offensichtlich rechtlich krude Konstruktionen nutzt, um das Strafmaß auszubauen und die Ermittlungen auch auf uns ausweiten zu können, dann hat das hier nichts mehr mit der Suche nach einem Leck zu tun. Dann hat er zum Angriff auf uns Journalisten geblasen.

Teilen Sie die Meinung des Netzaktivisten Jacob Appelbaum, die deutschen Geheimdienste wollten ein „Klima schaffen wie in den USA“, wo Wikileaks-Journalisten „mundtot“ gemacht würden?

Jacob kennt das Klima in den USA besser als ich. Wir merken aber, dass – vor allen Dingen durch Hardliner wie Hans-Georg Maaßen und Thomas de Maizière (Chef des Inlandsgeheimdienstes und Innenminister, Anm.) – ein Klima geschaffen werden soll, das die Debatte über Massenüberwachung in Deutschland aus ihrer Sicht „endlich“ einmal komplett beenden soll. In Deutschland wird zwei Jahre nach der Snowden-Enthüllung immer noch darüber diskutiert, ob wir das jetzt gut finden oder nicht. Dass die Diskussion nicht tiefer geht, ist im Interesse unserer Sicherheitsbehörden.

Warum?

Weil andernfalls ans Licht kommt, dass es sich womöglich bei der Kooperation mit NSA und Co, bei den Aktivitäten unserer Geheimdienste im Internet, um einen kalkulierten Verfassungsbruch handelt, gedeckt von der Bundesregierung. Die Verantwortlichen sind in der Regierung, zum Beispiel Außenminister Frank-Walter Steinmeier und Innenminister Thomas de Maizière. Beide waren Kanzleramtsminister und sind für die Wurzeln dieses Verfassungsbruchs verantwortlich.

Es klingt aber ziemlich dramatisch, dass die Pressefreiheit in Deutschland gefährdet sein soll.

Landesverrat ist das schärfste Schwert, das die Bundesregierung gegen Journalisten zur Verfügung hat, so scharf, dass es erst zwei Mal gezogen wurde. Das letzte Mal ging ich noch in den Kindergarten. Insofern kann man schon von Einschüchterungsversuch sprechen.

Werden sich die Ermittlungen auf die Arbeit anderer Journalisten auswirken?

Wir hoffen, dass diese Einschüchterungsversuche weder bei Journalisten noch bei Quellen funktioniert und dass unsere „Jetzt-erst-recht-Stimmung“ auch andere ansteckt. Und wir hoffen, dass diese Solidarisierungswelle zeigt, dass Journalisten einen Schutzraum in unserer Gesellschaft haben, wenn sie helfen, Licht ins Dunkel dieser Überwachungskomplexe zu bringen, und wenn sie gute journalistische Arbeit machen.

Kann eine Ausweitung der Internetüberwachung nicht auch sinnvoll sein, etwa wenn man an die Hasspostings gegen Flüchtlinge denkt?

Wenn unsere Bundesregierung mehr gegen den Hass im Internet gegen Flüchtlinge machen wollte, dann müsste sie eine andere Politik gegenüber Flüchtlingen betreiben, ein anderes Klima schaffen – aber nicht die Überwachung ausbauen.

Sie arbeiten mit Anwälten zusammen. Hat diese zwei Dokumente, um die es geht, niemand vor der Veröffentlichung begutachtet?

Uns war klar, dass wir ein Risiko eingehen, weil es sich um vertraulich eingestufte Dokumente handelt. Aber wir hätten nie gedacht, dass man deshalb mit Gefängnis bedroht wird. Wir haben die Originaldokumente bewusst veröffentlicht. Wir waren der Meinung, das muss raus. Wir halten es für notwendig, dass sich Lesende aus Originaldokumenten informieren können, um die Arbeit von Journalisten kritisch hinterfragen und so wiederum auch ihrer Arbeit vertrauen zu können. Außerdem war uns klar: Wenn wir als kleines Blog exklusiv über die Inhalte berichten, ohne die Dokumente dazuzupacken, dann könnte das Bundesamt für Verfassungsschutz anderen Journalisten in den zahlreichen Hintergrundrunden erklären, dass da gar nichts dran ist.

Sie waren, wie Sie kürzlich sagten, enttäuscht darüber, dass sich kaum jemand für Ihre Enthüllungen interessiert hat.

Nach der ersten Veröffentlichung gab’s ein paar Artikel. Nach der zweiten Veröffentlichung hat Justizminister Maas wenige Minuten später unabhängig von uns verkündet, dass er zu einer Pressekonferenz zur Vorratsdatenspeicherung einlade. Da ist unser Thema untergegangen.

Es wirkt aber auch, als hätte die Öffentlichkeit wenig Interesse an dem Thema Internetüberwachung.

Es ist hier halt schwierig, persönliche Betroffenheit hervorzurufen.

Warum?

Man spürt und sieht die Überwachung ja nicht. Es handelt sich um schleichende Effekte auf die Gesellschaft. Das macht es schwierig. Es ist ein bisschen so wie früher mit dem Umweltschutz. Es bräuchte mehr Medienkompetenz. Aber man kann das noch nicht mal jemandem übelnehmen. Wir sind halt so reingefallen ins Internet. Als Kinder lernen wir, im Straßenverkehr nach links und nach rechts zu gucken. Im Internet nimmt uns keiner an die Hand.

Sie haben anfangs von einer Solidarisierungswelle gesprochen. Wird sich die politisch auswirken?

In den Umfragen hat die CDU nach wie vor die Mehrheit. Die SPD schafft es jedes Mal, ein Bild abzugeben, da steht man mit offenem Mund davor. Die Opposition ist schwach. Die CDU dürfte stark bleiben.

Woran liegt das?

Wahrscheinlich ist es das Versprechen wirtschaftlicher Stabilität in unruhigen Zeiten.

Danke für das Gespräch – auch weil Sie ja nicht mit jedem sprechen wollen.

Ja, nicht mit Russia Today, nicht mit Sputnik, nicht mit dem iranischen Press TV, nicht mit mehreren türkischen Staatsmedien und ein paar anderen. Die wollten uns alle instrumentalisieren. Es ist wirklich traurig, dass Deutschland durch diese Aktion gegen uns außenpolitisch an Standing, an Autorität in Fragen von Pressefreiheit einbüßt. Ob das der Bundesregierung so bewusst ist?

Erschienen in: Falter

Datum: 08/2015

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