Armenien: Bücher zum Gedenken

Armenien ist normalerweise nicht der Hotspot der internationalen Berichterstattung. Die meiste Aufmerksamkeit bekommt das Land im Kaukasus rund um den Gedenktag an den Genozid. In Armenien selbst spielt das Thema aber nicht bloß rund um den 24. April eine Rolle: Die Angst der Armenier vor erneuten Übergriffen sitzt tief, das zeigt sich auch in der ambivalenten Haltung zu Russland.

Man schimpft zwar auf Russland und auf die Verbandelungen der armenischen Politiker mit Moskau – aber: „Wenn uns Aserbaidschan oder die Türkei angreift, hilft uns nur Russland“, sagt Hasmik, eine 30 Jahre alte Armenierin. Im Sommer war das Zentrum der Hauptstadt voll mit wütenden Menschen, die gegen die korrupte Regierung und die katastrophale
wirtschaftliche Lage im Land demonstrierten – darunter Hasmik, die ich in Jerewan kennenlerne. Die Politik würde nichts dafür tun, um die Armenier zusammen zu halten. „Dabei sind wir ohnehin schon so wenige“, sagt Hasmik und meint damit neben den Tausenden, die in den letzten Jahren ausgewandert sind, die rund 1,5 Millionen Armenier, die vor hundert Jahren vertrieben und ermordet wurden.

Die Türkei bleibt für Armenier die Bedrohung schlechthin. Zwei deutsche Autoren – Jürgen Gottschlich mit „Beihilfe zum Völkermord“ und Rolf Hosfeld mit „Tod in der Wüste“ – setzen sich mit den Wurzeln dieses Gefährdungsgefühls auseinander, auf unterschiedliche, aber jeweils lesenswerte Weise.

Einen soliden historischen Überblick bietet der deutsche Kulturhistoriker Hosfeld. Das anhaltende Gefühl der Bedrohung vieler Armenier lässt sich nicht auf den 24. April 1915 als Ausgangspunkt datieren, das legt Hosfeld noch einmal ausführlich dar: Anfeindungen, auch Massaker erlebten Armenier auf osmanischem Territorium bereits vor dem Sommer 1915. Bevor Hosfeld auf das systematische Morden ab 1915 eingeht, schildert er Übergriffe im 19. Jahrhundert und die Hintergründe dieser Verbrechen. Das Osmanische Reich ist 1875 bankrott, der Balkan rebelliert, der Vielvölkerstaat bröckelt. Wie Hosfeld schreibt, antwortet der Sultan mit der Idee eines osmanisch geprägten Islam, der das Land einigen soll: „Der Versuch einer inneren Reichsgründung mit den Methoden eines Kulturkampfs“. Dieser Versuch richtete sich gegen das als aggressiv angesehene christliche Europa, das – unterstützt durch die christlichen Minderheiten – im Osmanischen Reich den Islam zerstören wolle. Hosfeld führt präzise die Jahre vor dem ersten Weltkrieg aus mit der Jungtürkenbewegung, die gegen den Sultan kämpfte, beschreibt deren „fortschreitende Radikalisierung“ und schließlich die „Kultur eines türkischen Ultranationalismus“.

Den Weltkrieg wollte die jungtürkische Regierung – wie der Innenminister und spätere Regierungschef Mehmet Talât Pascha sagte – mit Blick auf die Zeit danach dazu nutzen, um mit den „inneren Feinden gründlich aufzuräumen“. Das hatte Talât auch deutschen Diplomaten mitgeteilt. Die Regierung des Deutschen Reichs habe also bereits im Juli 1915 von der Absicht der Jungtürken gewusst, die Armenier auf dem türkischen Territorium zu vernichten, betont Hosfeld.

So weit wie Gottschlich geht er nicht. Hosfeld sagt, das Deutsche Reich habe den Genozid „toleriert“ und sich „moralisch gleichgültig“ verhalten. Für Gottschlich steht fest, dass die Deutschen nicht nur Zuschauer gewesen seien.

Gottschlich verknüpft in seinem Buch Geschichte und Gegenwart, Kultur und Politik, sein Blick ist breiter. Über Vater und Sohn Humann erzählt Gottschlich anschaulich die Motivation der Deutschen an der Verbindung mit dem Osmanischen Reich. Das Deutsche Reich strebt nach Ausdehnung, danach „Großbritannien eine ebenbürtige Weltmacht zu werden“. Gottschlich schildert das auch anhand der Entdeckungsgeschichte des Pergamonaltars. Den Altar – heute ein Touristenmagnet – hat Carl Humann wiedergefunden und nach Berlin gebracht: ein Symbol für den neuen Einfluss des Kaiserreichs. Sohn Hans Humann, Marineattaché, war ein enger Vertrauter des türkischen Kriegsminister Enver Pascha. Die Verbrechen an den Armeniern beurteilte Human als „hart, aber nützlich“. Das Osmanische Reich wurde als stärkerer Bündnispartner angesehen ohne „innere Feinde“, ohne die Armenier, die angeblich einen Aufstand und eine Zusammenarbeit mit dem Kriegsgegner Russland planten.

Gottschlichs These: Das Deutsche Reich habe sich aktiv am Genozid beteiligt und, indem es seine türkischen Verbündeten unterstützte, den Völkermord letztlich erst ermöglicht. Reichskanzler Theobald von Bethmann Hollweg etwa schrieb, das einzige Ziel des Deutschen Reiches sei es, „die Türkei bis zum Ende des Krieges an unserer Seite zu halten, gleichgültig, ob darüber Armenier zu Grunde gehen oder nicht“.

Gottschlich ist Journalist, langjähriger Türkei-Korrespondent der „taz“, das merkt man dem Buch positiv an. Neben den Ergebnissen seiner Recherche in türkischen und deutschen Archiven baute Gottschlich Reportageelemente ein. Er nimmt den Leser beispielsweise mit auf seine Fahrt in den Südosten der Türkei in das Bergdorf Süleymanli, einst Zeitun, „der Ausgangspunkt für die Tragödie im Osmanischen Reich“. Und mit der Schilderung seines Rechercheaufenthalts in Berg Karabach verdeutlicht Gottschlich auch das zwiespältige Verhältnis zu Russland.

Jürgen Gottschlich: Beihilfe zum Völkermord
Ch. Links Verlag, 2015 – EUR 22,70

Rolf Hosfeld: Tod in der Wüste
C.H.Beck – Erscheinungsjahr: 2015 – EUR 25,70

Erschienen in: Falter, 03/2016

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