„Es ist nicht unser Mist – es ist eurer.“ Muhammed Ali Shahin ist wütend, während er seine Fotos von Bangladesch zeigt: Es sind Bilder von alten, rostenden Schiffen und Wrackteilen. Dutzende Männer ziehen an Seilen, um ein ausgedientes Schiff an Land zu bringen. Barfuß. Ohne Schutzhelm, ohne Handschuhe. Staub und Qualm sind auf einem anderen Foto zu sehen – und ein Mann mit einem Schweißgerät. Eine Schutzbrille trägt er nicht. „Und er arbeitet ohne Maske“, sagt Shahin. „Er atmet all die Dämpfe und das Gift ein.“ Gift, das nicht in dem Schiff sein dürfte, meint der Aktivist der „Plattform Schiffsabwrackung“, der nach Brüssel gekommen ist, um über die Abwrackung in seiner Heimat zu berichten.
Damit steht der junge Mann nicht allein da: Seit zehn Jahren ist es laut EU-Recht verboten, gefährliche Abfälle in Entwicklungsländer auszuführen. Das hält weder private Unternehmen noch Staaten davon ab, ihre mit Quecksilber, Blei, Öl und Asbest gefüllten alten Forschungsschiffe, Tanker, Flugzeugträger, Frachter nach Asien zu bringen. Denn das Ausfuhrverbot lässt sich laut EU-Kommission nur schwer anwenden, wenn ein Schiff die europäischen Gewässer bereits verlassen hat und sein Eigentümer erst dann offiziell beschließt, es zum Abwracken beispielsweise nach Bangladesch zu schicken. Dabei profitiert das Land, das Stahl braucht. Und die Nocheigentümer können Umwelt- und Sozialauflagen umschiffen. Das Lohnniveau ist ohnehin niedriger als in Europa.
Die meisten der Schiffsabwracker stammen aus dem Norden Bangladeschs: Es sind Kleinbauern, die vom Reisverkauf allein nicht leben können. Das wissen jene, die die alten Schiffe erwerben, um den Stahl weiterzuverkaufen. Sie schicken Mittelsmänner los, die Arbeitskräfte rekrutieren. „Väter und Söhne zerlegen die Schiffe. Ein Zehnjähriger hat mir erzählt, dass er seine Mutter schon monatelang nicht gesehen hat“, berichtet Shahin. „Und ich habe Tote gesehen.“
Auf jedem Schiff arbeiten hunderte Männer und Jungen, pro Jahr sind es 30.000 auf den rund 60 Schiffen, die aus der ganzen Welt in Bangladesch ankommen. Vorsichtsmaßnahmenkataloge gibt es keine – die Männer könnten sie auch nicht lesen. „Ohne genau von den Gefahren zu wissen, laden sie zum Beispiel Stahlplatten auf ihre Schultern und schleppen die Teile zu acht oder zu zehnt“, sagt Shahin und deutet auf ein Foto. „Wenn einer hinfällt, kann das schlimme Folgen haben.“ Andere schütten mit bloßen Händen Öl von kleineren Tonnen in größere. „Die Arbeit an den Schiffen schadet nicht nur der Gesundheit der Männer. Öl und Gifte gelangen über Fische in die Nahrungskette“, sagt Shahin.
„Das Europäische Parlament verurteilt die Bedingungen, unter denen derzeit Schiffe in Entwicklungsländern zerlegt werden“, heißt es in der letzte Woche formulierten Stellungnahme zum „Grünbuch Meerespolitik“ der EU-Kommission. Darin hat die Kommission im Frühjahr „das weltweite Problem“ beschrieben. Das Parlament forderte daraufhin, dass sich die Gemeinschaft mit der Frage der Wiederverwertung befasst. „Denn das hatte bisher keine Priorität auf der Tagesordnung“, so Helge Jordan, Mitarbeiter des sozialdemokratischen Parlamentariers Willi Piecyk. „Die Mitgliedsstaaten wollen das Thema lieber in der IMO behandelt sehen.“
Die IMO, die Internationale Seeschifffahrts-Organisation, ist eine UNO-Sonderorganisation. Ihre Richtlinien sind unverbindlich. Zwar arbeitet die IMO seit mehr als einem Jahr an einer bindenden Rechtsordnung – „aber bis mehr als 160 Mitglieder einen Kompromiss finden, vergeht viel Zeit“, meint Jordan.
Doch auch die Forderungen des EU-Parlaments zur Abwrackung europäischer Schiffe werden so schnell nicht erfüllt werden. Denn auch hier müssten sich immerhin 27 Mitgliedsstaaten einig werden. „Wir fordern beispielsweise einen Green Passport“, sagt Jordan. Dieser Ausweis sollte mit den Schiffspapieren zu führen sein und genauen Aufschluss darüber geben, welche Substanzen die Schiffe enthalten und mit welchen Werkstoffen Reparaturen durchgeführt wurden. Außerdem soll laut Parlament derjenige für die Beseitigung des Schmutzes zu zahlen haben, der ihn verursacht. „Der erste Schritt ist gemacht“, sagt Jordan. „Aber von heute auf morgen wird sich nichts ändern.“
Erschienen in: taz, 07/2007