Ungarn: Lenin und Sisi sollen Touristen bringen

Die zwei haben Spaß. Sie ist mittelgroß, etwas pummelig und strahlt das Gegenteil von der Statue aus, auf deren Sockel sie sich soeben gestellt hat. Entschlossen, kraftvoll, dynamisch und vor allem gigantisch wirkt die Figur. Die Frau hebt den linken Arm, tritt mit dem rechten Fuß nach vorn, spielt Statue. Er lacht, drückt ab. Das ungarische Tourismusamt preist den Park, in dem sich 42 kommunistische Denkmäler befinden, als „Geheimtipp der Woche“ an. Hier bietet Ungarn den Touristen Kommunismus, anderswo Sisi und die Puszta. In Budapest und Umgebung kommen aber auch jene Reisende auf ihre Rechnung, die nicht nicht nur Klischees bedient haben wollen.

„Bei diesem Park geht es um eine außerordentlich heikle Angelegenheit. Ich habe versucht, dieses unheimlich ernsthafte Problem möglichst ernsthaft zu behandeln. Ich habe versucht, die einzelnen Werke korrekt und ohne Ironie zu zeigen – denn dies soll kein Witzpark sein“, sagt der Architekt Ákos Eleöd, der den Denkmalpark konzipiert hat. Nach 1989/90 wurde in der Öffentlichkeit darüber diskutiert – „heftig“, wie Zeitzeugen berichten -, was mit den Denkmälern der vergangenen Ära geschehen sollte: zerstören oder bewahren. Die Budapester Generalversammlung beschloss im Dezember 1991, ein Museum gestalten zu lassen. Am 29. Juni 1993, dem zweiten Jahrestag des Abzugs der russischen Truppen aus Ungarn, wurde es eröffnet. Ungarn kommen genauso hierher wie Touristen.

Die einen interessiert, was mit den Statuen, die früher in Budapest ihren Platz hatten, geschehen ist, kommen mit ihren Kindern und Enkelkindern, weil diese Denkmäler ihr einstiges Leben symbolisieren. Die anderen wollen Geschichte lernen, wollen verstehen lernen, was es geheißen haben könnte, in einer Diktatur zu leben, in einer Welt, in der gigantische Statuen einen die eigene Winzigkeit spüren haben lassen.

Das ungarische Tourismusamt wirbt für das „Kuriosum nicht nur für echte Budapest-Fans“ so: „Zu schmissigen Pionierliedern, die aus den Lautsprechern tönen, kann man Skulpturen von Lenin, Marx, Engels, Dimitrov und Ostapenko, aber auch Denkmäler des Sowjetsoldaten, der kommunistischen Märtyrer oder der Räterepublik bestaunen.“ Kleine Lenin- und Stalinbüsten gibt es im Museumsshop zu kaufen, angeboten werden auch die CD „Best of Communism I-II.“ – natürlich mit der Internationale und der Stimme Lenins – und Alu-Dosen mit der englischen Aufschrift: „Letzer Atemzug des Kommunismus“.

Neben den Devotionalien der „Ostalgie“ werden aber auch Ansichtskarten verkauft, die Momente von 1956 abbilden. Auf einer ist ein Panzer zu sehen, aufgebrachte Bürger, ein älterer Mann, der die Straße überqueren möchte.

Auch anderswo steht die Vergangenheit – anderer Art – im Focus der Touristen, ungarischer wie ausländischer: Mehr als 300.000 Menschen besuchen jährlich Sisis Lieblingsresidenz, Schloss Gödöllö und sehen schwere Kronleuchter, schwere Tapeten, schwere Teppiche. Der Schlossbesuch vermittelt weniger historische Zusammenhänge als viel mehr Pomp, mehr oder weniger interessante Details über Sisis Leben und einen gut gehegten Zauber vergangener Zeiten. Mitnehmen kann man in jedem Fall etwas – sei es das Gefühl, mehr über Österreich-Ungarn erfahren zu wollen oder, ganz profan, eine Porzellantasse oder ein „königliches Kochbuch“ aus dem Souvenirshop.

Nur wenige Kilometer von Schloss Gödöllö entfernt liegt der Lázár-Reitpark. Hier will das ungarische Weltmeisterpaar der Gespannfahrer „die Stimmung der ungarischen Dörfer“ vermitteln, wie es im Prospekt heißt – Pusztaromantik mit der reitenden Sisi als krönenden Abschluss und deftiger ungarischer Kost, die im Gesamtpaket inkludiert ist.

Andere Arten von Kultur findet man in Budapest genug: sei es in einer der kleinen, im Vergleich zu den internationalen Ketten verstaubt-charmant wirkenden Buchhandlungen, sei es in der Matthiaskirche bei einer Rossini-Messe, sei es im „Palast der Künste“, der erst heuer im Rahmen des Budapester Frühlingsfestivals eröffnet wurde. Generaldirektor Imre Kiss versichert, es sei das Gebäude mit der weltweit besten Akustik. Davon profitieren zunächst einmal die ungarische Nationalphilharmonie und ihr Chor sowie das Nationale Tanztheater.

Hier verbindet sich „Altes“ und „Neues“ – Klassik, Jazz, Weltmusik und moderne bildende Kunst. Und nicht zuletzt wegen der Architektur des „Palastes“ wirkt Ungarn hier „westlich“ – trotz des Namens, der an vergangene Zeiten erinnert. Zeiten, wie sie durch einen Statuenpark aufgearbeitet werden sollen.

Erschienen in: Wiener Zeitung 05/2005

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