Asyl: Hungern und Frieren für mehr Rechte

Es ist kurz nach neun Uhr Früh, es nieselt und es ist richtig kalt. Auch diese Nacht haben mehrere dutzend Flüchtlinge und Unterstützer in dem Protest-Zeltlager auf dem Oranienplatz im Berliner Bezirk Kreuzberg verbracht. Seit drei Wochen steht das Camp nun hier.

Die Zelte sehen nicht so aus, als ob sie dem Winter besonders gut trotzen könnten. „Das Problem ist nicht das Wetter“, sagt Hatif. Der junge Mann, Mitte zwanzig, ist vor zwei Jahren aus dem Iran geflohen „über die Berge, durch die Türkei, illegal, wie alle“, sagt er. Wegen „politischer Äußerungen“ habe er nicht im Iran bleiben können. Mehr Persönliches möchte Hatif nicht erzählen.

Hatif landete in Deutschland. In München stellte er einen Asylantrag. Er kam in ein Flüchtlingsheim in die bayrische Stadt Würzburg. Anfang des Jahres hatte sich ein junger Mann, der im Iran gefoltert worden war, in dem Würzburger Flüchtlingshaus erhängt. Die Schwester, die in Köln lebt, nimmt an, dass er es nicht ertragen habe, tatenlos abzuwarten, von der Familie getrennt zu sein und sich im Heim an die Haft im Iran erinnert zu fühlen. „Ohne Aufenthaltserlaubnis und im Unwissen darüber, was in der Zukunft geschehen wird, im Heim zu leben, nimmt uns jegliche Möglichkeit, uns weiterzuentwickeln“, heißt es in einer Erklärung der „streikenden Flüchtlinge“, denen Hatif sich anschloss.

Am 8. September brachen sie zu Fuß aus dem 600 Kilometer entfernten Würzburg nach Berlin auf und demonstrierten so auch gegen die sogenannte Residenzpflicht: Eigentlich dürfen Flüchtlinge in Deutschland den Landkreis, in dem ihr Flüchtlingslager steht, nicht verlassen. Damit aber isoliere man sie, schreiben die Flüchtlinge. Aus ganz Deutschland schlossen sich Flüchtlinge und Unterstützer den Protestierenden aus Würzburg an und kamen nach Berlin.

Nicht alle von ihnen wohnen durchgängig auf dem Oranienplatz, wie Hatif es tut. Manche, darunter Kranke und Familien, haben in der Kreuzberger Nachbarschaft eine Nächtigungsmöglichkeit gefunden. Viele Freiwillige bringen Kleider, Toilettenpapier, Briketts und bieten an, Kranke zu Ärzten zu begleiten. „Wir bleiben, bis unsere Forderungen erfüllt sind“, sagt Hatif.

Kein Okay für Zeltstädte

Etwa 20 der Flüchtlinge zogen weiter vors Brandenburger Tor. Seit einer Woche sind sie dort im Hungerstreik – und ohne Schutz vor Wind und Wetter. Denn „dauerhafte Zeltstädte“ würden vor dem Brandenburger Tor nie genehmigt, sagt der Bezirksbürgermeister Christian Hanke (SPD). Das bedeutet auch, dass die Flüchtlinge keine Isomatten, Schlafsäcke oder Pappkartons verwenden dürfen – und die Polizei kontrolliert Nacht für Nacht, ob sich die Männer und Frauen daran halten. Eine „Sondernutzung“ lehnt Hanke ab. Dies hatte der Kreuzberger Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) für den Oranienplatz veranlasst.

Am Mittwoch schließlich hatte Hanke angeordnet, Wärmebusse bereitzustellen, und am Donnerstagnachmittag sprachen hungerstreikende Flüchtlinge mit der Integrationsbeauftragten der Bundesregierung sowie der Berliner Integrationssenatorin.

Mehrere Politiker hatten zuletzt die Flüchtlinge besucht. Darunter war auch Laura Dornheim von der Piratenpartei. Via Twitter forderte sie Journalisten auf, mehr über die Lage der Flüchtlinge zu berichten. Ein Reporter der „Bild-Zeitung“ fragte daraufhin, ob denn auch der umstrittene Piraten-Geschäftsführer Johannes Ponader am Brandenburger Tor sei. „Ich weiß es nicht. Aber Menschen, die hungern, verdammt. Und ja, auch genügend Piraten-Mandatsträger. Und wenn es Dir hilft, stell’ ich mich da oben ohne hin!“, antwortete Dornheim. „Wenn Du das wirklich machst, schnapp ich mir jetzt ’nen Fotografen und komme sofort. Deal?“, schrieb der Journalist.

Einige Piraten-Mitglieder kündigten daraufhin an, ihre Oberkörper am Brandenburger Tor zu entblößen – was sie tatsächlich nie vorgehabt hatten. Stattdessen konnten die herbeieilenden Fotoreporter „Menschenrechte statt Titten“ auf den T-Shirts lesen. Die Aktion war mit den Flüchtlingen abgesprochen.

Erschienen in: Wiener Zeitung 11/2012

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