Bio: „Es kann nicht nur Idylle sein“

Es ist Zeit für die Siesta: Nach zwei, drei Stunden fast pausenlosem Fressen ist die Herde gegen zehn Uhr vormittags müde. „200 Kilogramm Gras fressen die Kühe pro Tag. In der Dämmerung spielen sie dann Fangen“, sagt Karl Erlach und lächelt eine an, grüßt sie: „Hallo, Maxi!“

Der Biobauer aus Reichenau an der Rax kennt sich aus mit Kühen. Die Ältesten geben den Takt vor, die anderen halten sich an die Hierarchie: Wo geschlafen und wann aufgestanden wird, entscheidet eine Kuh nicht einfach so. „Am meisten lernt man, wenn man es macht wie mein Sohn: Der setzt sich in die Herde hinein und beobachtet sie.“

Karl Erlach zählt zu jenen Menschen, deren Beruf vom sonstigen Leben nicht zu separieren ist; deren Beruf und Leben eine Einheit bilden. Und er zählt zu jenen, die Sinn in ihrem Tun sehen. Erlach strahlt Freude aus, wenn er von seinen Tieren, seinem Betrieb, seiner Familie und seinem Leben erzählt. „Natürlich ist viel Idylle dabei. Aber es kann nicht nur Idylle sein. Es muss auch wirtschaftlich laufen“, sagt er.

Und das tut es: Die Nachfrage nach biologischen Lebensmitteln steigt, öffentliche Einrichtungen wie Spitäler sind wichtige Abnehmer geworden, und seit Supermarktketten und zuletzt die Diskonter in den Markt eingestiegen sind, sucht der größte heimische Biobauern-Verband „Bio Austria“ Landwirte, die umsatteln. Der Zeitgeist verlangt danach: Bio ist „in“.

Genau hier liege die Gefahr, meint man beim Biohof „Adamah“ im Marchfeld: „Was ist, wenn der Trend vorüber ist?“, fragt Mitarbeiter Markus Niemann und gibt sich selbst eine Antwort: „Dann wird bio von den Ketten wieder fallen gelassen.“ Für Niemann und seinen Chef Gerhard Zoubek ist „bio“ mehr als eine Modeerscheinung: „Mein Produkt erzählt eine Geschichte: eine Geschichte von mir, meinen Mitarbeitern, meiner Region – ich habe einen Bezug dazu“, sagt Zoubek. Und dieser Bezug bestehe im Lebensmittelhandel nicht, „bio“ hin oder her. „Die Bauern, Handelspartner, sind für die Handelsketten austauschbar“, erklärt der 51-Jährige. Was zähle, sei das Etikett.

Zoubek suchte vor einigen Jahren eine „Lebensaufgabe“. Von den Eltern seiner Frau Sigrid übernahm er den Betrieb in Glinzendorf bei Gänserndorf und stellte diesen auf biologische Landwirtschaft um. Seine Lebensmittel verkauft Zoubek ab Hof, im Fachhandel und über sein Zustellservice: Bis zu 3000 „Kisterln“ liefern seine Mitarbeiter per Kühlautos pro Woche in Wien und Umgebung aus.

„Die meisten Menschen wissen heute nicht mehr, was wann Saison hat. Es gibt ja das ganze Jahr immer alles“, meint Zoubek. Bei seinen Lieferungen ist das anders – zumindest meistens: Kunden können ihr Kisterl nicht nach Belieben zusammenstellen. „Man darf nur sagen, was man nicht haben möchte. Alles andere ist jede Woche eine Überraschung“, sagt der Landwirt.

Geliefert wird hauptsächlich, was der Jahreszeit entspricht, Spinat etwa im Frühjahr und Herbst, Paradeiser im Sommer. Der Kisterl-Kunde lernt ausgefallene Gemüse wie Haferwurzel kennen und bekommt Lagerungstipps und Rezepte dazu geliefert. „Das ist die Bedienungsanleitung“, scherzt Zoubek.

Der Betrieb bietet unterschiedliche Kisterl-Arten an, in verschiedenen Größen und mit verschiedenem Inhalt – auch ein „Mutter-Kind-Kisterl“ ohne blähendes Gemüse gibt es.

Im Sommer kommt der Großteil des Kisterl-Inhalts aus eigenem Anbau, im Winter werden auch Bio-Artischocken aus Sizilien oder Bio-Radicchio aus Venezien geliefert, außer man bestellt ein „Regional-Kisterl“. Also werden doch Kompromisse gemacht, was den Eigenanbau und den Transportweg betrifft. „Ja“, sagt Niemann.

Für „Unsinn“ hält er anderes: „Wenn österreichische Bio-Milch nach Saudi-Arabien exportiert wird, es aber auf dem europäischen Markt davon zu wenig gibt, kann man sich schon fragen, was das soll.“ „Es werden vier Hotels in Dubai beliefert – aber auch das haben wir im Verband lange diskutiert, vor allem vor dem Hintergrund der CO 2 -Problematik“, erläutert Wilfried Oschischnig, Sprecher von „Bio Austria“.

Während aber Deutschland und Großbritannien – von wo aus es ebenfalls Anfragen gebe – ihren Anteil an Bio-Landwirtschaftsflächen erhöhen könnten, sei das in Dubai so nicht möglich. Abgesehen davon mache der Transport bei Lebensmitteln nur einen Bruchteil des gesamten Energieverbrauchs aus – und allein durch den Verzicht auf chemisch-synthetische Düngemittel im Bio-Landbau würden CO 2 -Emissionen gespart.

Belächelt im Wirtshaus
Oschischnig bestätigt, dass derzeit die Nachfrage – auch in Österreich – das Angebot übertreffe. Klagten in Österreich Bauern vor einigen Jahren noch, dass ihre Bio-Milch keinen Absatz fände, sie diese also wohl oder übel als konventionelle – und damit billiger – verkaufen mussten, hat sich der Spieß im vergangenen Jahr umgedreht. Selbst der einstige Sorgenkind-Bereich Milch wurde fast gänzlich als „bio“ vermarktet. Wie in Deutschland ist der Hauptgrund für die gestiegene Nachfrage der Eintritt der Diskonter in den Markt.

Anders als Zoubek und seine Mitarbeiter sieht Bio-Bauer Erlach darin eine Chance: Nur durch eine große Nachfrage sei es möglich, dass möglichst viele konventionelle Landwirte ihren Betrieb auf „bio“ umstellten. „Jeder Quadratmeter umgestellte Landwirtschaft ist ein Gewinn: Der Pestizid- und Energieeinsatz geht zurück, die Umwelt wird geschützt“, sagt er.

Sein Betrieb, den er gemeinsam mit seiner Frau führt, war vor zwanzig Jahren die erste Bio-Landwirtschaft im Bezirk Neunkirchen, zu dem Reichenau zählt, und erhielt die Nummer 191 in Niederösterreich. „Bio-Bauer war mein Traumberuf“, sagt Erlach und zeigt im Vorbeifahren auf eine Weide: „Flächenspritzung. Fünf, sechs Jahre bleiben die Pestizide da drinnen. Und natürlich fressen das die Kühe mit.“ Er selbst mähe stundenlang den für Kühe ungenießbaren Ampfer aus der Wiese. „Dafür wird man im Wirtshaus manchmal belächelt.“

Viele sehen bloß die viele Arbeit, meint der Landwirt, der anderen bei der Umstellung auf Bio-Landbau behilflich ist. Denn ein Betrieb wird nicht von heute auf morgen „bio“. Die Übergangszeit dauert zwei Jahre. In dieser Zeit werden die Produkte wie gewohnt verkauft, also ohne den Mehrwert „bio“, die Förderung dafür gibt es aber bereits. „Die ersten Jahre können schwierig sein“, sagt Erlach. Muss der Stall umgebaut werden, koste das jede Menge Geld, anstelle zu spritzen werde gejätet, auch das Futter koste mehr. „Fischmehl wird einem im Vergleich dazu auf dem Weltmarkt nachgeworfen.“

Dafür gibt es schlussendlich Mehreinnahmen: Förderungen und Preise sind höher als im konventionellen Landbau. Das regt so manchen konventionellen Landwirt auf: Wozu braucht es Zusatzförderungen, wenn – aufgrund des höheren Preises – ohnehin mehr herausschaut? „Weil die Kosten trotzdem höher sind“, heißt es dazu aus dem Landwirtschaftsministerium.

Die Mehreinnahmen sind mittlerweile ein großer Anreiz, den Betrieb auf „bio“ umzustellen. „Früher taten das mehr Bauern aus Überzeugung“, heißt es vom Adamah-Hof. „Adamah“ ist hebräisch. Es bedeutet „Menschheit“ und „lebendige Erde“.

Erschienen in: Wiener Zeitung

04/2007

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