Berlin: Biotop für Start-ups

Wenn man wissen will, was Berlin auch ausmacht, schaut man sich zum Beispiel einmal den Kotti an. Das Kottbusser Tor ist eine wenig schmucke Straßenkreuzung mit gleichnamiger U-Bahn-Station im Bezirk Kreuzberg – auf der einen Seite Treffpunkt für Drogensüchtige, auf der anderen die Clubs „Monarch“ und „West Germany“ in einem heruntergekommenen Neubaublock, in der Mitte die Adalbertstraße mit türkischen Fast-Food-Läden und thailändischen, vietnamesischen und italienischen Restaurants, die zur Oranienstraße mit noch mehr kleinen Restaurants und dutzenden Kneipen führt. Es ist laut hier, dreckig, arm und schäbig, es ist bunt, international – hier ist Gewusel, Bewegung. Vieles davon zieht junge Menschen aus der ganzen Welt in die Stadt.

Stylisch: das Büro des Salzburgers Philipp Wassibauer. - © Zeiner
Das Büro des Salzburgers Philipp Wassibauer

Im fünften Stock eines alten Hinterhof-Gewerbehauses in der Adalbertstraße sitzt Philipp Wassibauer an einem langen, massiven Holztisch, vor ihm sein weißes Notebook, und erzählt von „Gidsy“ und der Start-Up-Szene in Berlin. Das Büro ist das komplette Gegenteil des Kotti: Es ist strahlend-sauber, sehr gut eingerichtet und total ruhig. Das Geld dafür – wie auch für alles andere – stammt von Anlegern wie dem US-Schauspieler Ashton Kutcher, die in Start-Ups wie „Gidsy“ investieren.

„Gidsy“ wurde in Windeseile zu einer der bekanntesten Neugründungen Berlins. Die Firma bietet ein Internetportal für Privatpersonen, die Aktivitäten verkaufen möchten. Yogastunden, Stadtführungen, Kochabende – jeder, der anderen eine besondere Leidenschaft näherbringen möchte, ist hier willkommen. „Wir haben den richtigen Nerv getroffen“, sagt Wassibauer. Anbieter erstellen ein Konto, etwa „Christine“, „Wie backt man richtig Schnitzel – Bio-Fleisch wird von mir besorgt“, „4 bis 6 Personen“, „alle zwei Wochen, Donnerstagabend“, „Berlin, Wohnung in Kreuzberg“, „25 Euro pro Person“. Wollen nur drei Personen mitmachen, wird „Gidsy“ absagen. Findet der Termin statt, übernimmt „Gidsy“ die Abrechnung: Zehn Prozent der Einnahmen gehen an das Start-Up.

Kreativaustausch statt Frust

„Gidsy“ gibt es knapp ein Jahr. Gegründet wurde es von den Amsterdamer Brüdern Edial und Floris Dekker und dem Salzburger Wassibauer. Der 32-Jährige hat in den USA Informatik studiert, in Salzburg organisierte er das Ideen-Festival „Schmiede Hallein“. Und Wassibauer hatte mehrere Ideen für Start-Ups, es sei in Österreich aber eher „frustrierend“ gewesen, sagt er. Für Wassibauer stand bald fest: Es zieht ihn nach Berlin. Hier tue sich etwas, hier seien die richtigen Leute, Juristen, die sich ausschließlich mit Entrepreneurs beschäftigen, Kreative, mit denen man sich austauschen könne, es sei hier international, es gebe Geld und flexible Unternehmensformen. Die Dekker-Brüder kannte er von früher, und als Wassibauer in ihrem Designbüro in Berlin vorbeischaute, erzählten sie ihm von ihrer Idee. Die drei wurden sofort Partner, „Gidsy“ wenig später von einer Jury aus der Internetbranche zum „Start-Up des Jahres 2011“ gewählt. Mittlerweile hat das Team zehn Mitarbeiter. Dass die Firma noch immer zu 99 Prozent von Investoren getragen wird, ist für Wassibauer nichts Schlechtes: Wachstum bedeute Mehrkosten.

70 Prozent schaffen es

Mehr als 1300 Start-Ups wurden in den vergangenen vier Jahren in Berlin gegründet, 500 davon im letzten Jahr. Darunter ist „SoundCloud“, vielleicht das bekannteste Start-Up der letzten Zeit: Auf der Online-Plattform können Musiker Aufnahmen austauschen. Zu den Stars der Berliner Start-Ups zählen auch „6Wunderkinder“ und „Wooga“. „6Wunderkinder“ entwickelte einen kostenlosen Aufgabenplaner für Smartphones, der von Hunderttausenden auf der Welt genutzt wird. „Wooga“ tüftelt an Online-Spielen für soziale Netzwerke und ist damit unter den weltweiten Marktführern. Für manche firmiert Berlin – wie auch New York – mittlerweile gar unter dem – mäßig originellen – Namen „Silicon Allee“, in Anlehnung an das Silicon Valley mit den ganz Großen wie Google und Facebook. Richtig gut laufen würden allerdings nur 20 bis 30 Prozent der Berliner Start-Ups, sagt Ciarán O’Leary, Partner des Investors „Earlybird“, im „Tagesspiegel“. Für 50 Prozent gehe es „so einigermaßen“, 20 bis 30 Prozent würden es nicht schaffen.

„Earlybird“ ist einer der größten Risikokapitalgeber für Start-Ups in Deutschland. Seit 1997 hat die Gesellschaft insgesamt 500 Millionen Euro eingesammelt. Der jüngste Fonds umfasst bisher 85 Millionen Euro, die für Start-Ups in Europa bereitstehen. Pro Fonds wird in 20 bis 30 Firmen investiert, in der ersten Phase gibt es je Firma 250.000 bis 1,5 Millionen Euro. Dass man sich in Berlin versucht, ist nicht neu. Mittlerweile steckt in etlichen Projekten aber eben viel Kapital.

Erst vor kurzem zog „Earlybird“ von Hamburg nach Berlin, da – wie O’Leary sagt – „die besten Unternehmer fast alle aus Berlin kommen“. Die große Aufmerksamkeit, die die Berliner Start-Up-Szene bekomme, sei daher „absolut berechtigt“, sagt Earlybird-Principal Maximilian Claussen zur „Wiener Zeitung“. „Die Anzahl der Unternehmen steigt, die Anzahl der guten, originären Ideen ist immens.“ Die Grundvoraussetzungen für ein erfolgreiches „Start-Up-Ökosystem“ seien alle hier, es gebe gute Fördermittel und ein internationales Umfeld. Keine andere deutsche Start-Up-Szene befinde sich auf dem Berliner Niveau.

Ein Blick für das Maß

Auch für „UPcload“ war die Stadt erste Wahl. „Für ein Start-Up braucht man Geld und gute Menschen. Wir haben Mitarbeiter aus Moldawien, Rumänien, den USA, aus Mexiko – die ganze Welt ist hier“, sagt Asas Moses. Gemeinsam mit dem Deutschen Sebastian Schulze studierte der Israeli in Berlin Wirtschaft. Dann hatten die zwei eine Idee. Sie wollten ein Programm schaffen, das via Webcam zuhause die Körpermaße scannt und so die passenden Kleidergrößen der jeweiligen Unternehmen herausfindet. So sollte Einkaufen im Internet einfacher werden. „Wir dachten, das ist nicht so kompliziert. Es war dann aber sehr kompliziert“, so Moses.

Bei „UPcload“ sieht es deutlich weniger hip aus als bei „Gidsy“. In den Räumen eines DDR-Baus im Bezirk Mitte stehen kraut- und rübenartig Schreibtische und Sessel, das einzig Stylische ist die Aussicht auf die Museumsinsel. Die Räume stellte die Stadt zur Verfügung. „Wir wurden von Berlin sehr stark unterstützt“, sagt Moses. Über verschiedene Programme bekam man mehrere hunderttausend Euro. „Wir haben dafür Arbeitsplätze geschaffen und zahlen Steuern.“ „UPcload“ gibt es nun seit zweieinhalb Jahren. 17 Mitarbeiter arbeiten dort mittlerweile. So schaffte man es auch, einen zweiten Standort zu eröffnen, um näher bei vielen der Kleidungsmarken zu sein: Neben „Silicon Allee“ ist man nun auch im Silicon Valley.

Erschienen in: Wiener Zeitung und Wirtschaftsblatt 10/2012

About the author