Der Angriff der Turnschuhbrigaden

Wie die Post in Deutschland liberalisiert wurde – und welche Lehren Österreich daraus ziehen kann

Schon Klaus Zumwinkel hatte vor ihnen gewarnt. Ist das deutsche Briefmonopol erst einmal gefallen, blasen die Turnschuhbrigaden zum Angriff, sagte der damalige Chef der Deutschen Post voraus. Das war vor zwei Jahren. Seit mehr als elf Monaten ist der deutsche Markt nun für die Konkurrenz geöffnet – früher, als die EU es vorschreibt. Österreich steht die Liberalisierung 2011 bevor. Post-Generaldirektor Anton Wais warnt heute wie damals Zumwinkel vor den unzuverlässigen, unterbezahlten, aber nicht aufzuhaltenden privaten Anbietern: „Man wollte, dass Turnschuhbrigaden in einer schlechten Qualität sehr aggressiv beim Preis tätig sind“, erläutert er den Beschluss der EU-Länder.

Acht Euro pro Stunde?

In Deutschland versucht man den aufkommenden Druck aus Privatisierung und Liberalisierung per Mindestlohn abzufedern. Acht Euro im Osten und 9,80 Euro im Westen pro Stunde sollen die Brief- und Paketzusteller bekommen. Doch dagegen sträubt sich der Arbeitgeberverband „Neue Brief- und Zustelldienste“. In ihm sind die privaten Anbieter organisiert, Pin etwa und TNT. Um eigene Kollektivverträge aushandeln zu können, wurde eine eigene Gewerkschaft gegründet. Diese Gewerkschaft der Neuen Brief- und Zustelldienste hat denn auch mit dem Arbeitgeberverband und dem Bundesverband der Kurier-Express-Post-Dienste deutlich niedrigere Löhne vereinbart, nämlich 6,50 und 7,50 Euro. Mehr könne man sich schlicht nicht leisten, argumentierten die Privaten. „Wenn es darum geht, die Mitarbeiter vor Hungerlöhnen unterhalb von sechs Euro pro Stunde zu schützen, habe ich nichts gegen einen solchen Mindestlohn“, sagt Verbandspräsident Florian Gerster. Nichts da, befand überraschenderweise das Arbeitsgericht Köln und sprach der Gewerkschaft der privaten Firmen die Tariffähigkeit ab: Sie sei zu klein, um Druck auf die Arbeitgeber auszuüben – und überdies zu eng mit diesen verflochten, personell wie finanziell.

Wie die Löhne für Briefzusteller in Österreich künftig aussehen werden, ist ungeklärt. Kollektivverträge werden wohl verstärkt umgangen werden. Generaldirektor Wais sagt, die Liberalisierung zwinge die Post, das Geschäftsmodell zu ändern. Das heißt: weniger Mitarbeiter, Auslagerung der Briefzusteller an private Firmen und Postpartner statt Postämter. Auch hier sind die Deutschen schneller: Bis 2011 soll das gesamte Filialnetz ausgelagert sein – gelbe Postämter gibt es dann nicht mehr. Sorgen brauchen sich laut Management aber weder Kunden noch Mitarbeiter zu machen. Während die Beschäftigungsgarantie nur noch zwei Jahre gilt, sind 12.000 Standorte für Postdienste gesetzlich vorgeschrieben – wer auch immer die betreut. Und während Konsumentenschützer und Gewerkschafter vor Verschlechterungen warnen, freuen sich kleine Läden, Bäckereien und Tankstellen über ein Zubrot durch die Postdienste.

Muss alles bleiben, wie es ist?

Was, wenn auch die zusperren, weil sich ihr Geschäft einfach nicht mehr lohnt? „Siedlungssysteme verändern sich nun einmal“, sagt Heinz Fassmann, Professor am Institut für Geographie und Regionalforschung der Uni Wien. „Man sollte sich ein bisschen von der Vorstellung lösen, alles um uns muss so bleiben, wie es ist.“ Klar sei aber auch, dass sich die Entsiedelung beschleunigt, wenn es keine Schule, keinen Bäcker, keine Post mehr gibt. Soll Infrastruktur erhalten bleiben, auch wenn sie „unterkritisch“ ausgelastet ist, dann müsste dafür in den Geldbeutel gegriffen werden. Entweder trägt die Allgemeinheit die Mehrkosten, oder sämtliche Anbieter zahlen in einen Fonds ein, wie er zurzeit gerade in Österreich diskutiert wird. So soll auch derjenige, der die hintersten Bergdörfer versorgt, einen finanziellen Ausgleich bekommen. Ein natürliches Monopol wie bei der Wasserversorgung oder dem Kanalnetz liegt laut Fassmann bei der Post jedenfalls nicht vor.

Was wirklich sinken wird

Der Ökonom Stephan Schulmeister fragt sich aber, wie effizient es ist, mehrere Postanbieter zu ermöglichen, und sagt: gar nicht. Langfristig, so seine Prognose, werde sich wieder ein Monopol bilden – die Löhne werden dann aber gesunken sein.

Erschienen in: Falter. 11/2008

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