„Denen ist nicht mehr zu trauen“

Im ehemaligen Salzbergwerk Asse lagern 126.000 Fässer Atommüll – jetzt müssen sie geborgen werden

„Ist eigentlich ne schöne Gegend“, sagt der Taxifahrer. Sein Auto braust dahin, die Landschaft zieht vorbei: Die Sonne strahlt auf die herbstlichen Felder, man sieht ein paar Windräder und ein paar Häuser in der Ferne, Wälder und Hügel sind zu sehen. Die Hügel, das ist der Höhenzug Asse. „Wenn man weiß, was da ist, findet man die Atmosphäre nicht mehr so toll“, erklärt der Taxifahrer.

Zwanzig Kilometer von Braunschweig im Bundesland Niedersachsen entfernt liegt Gift. 126.000 Fässer sind in einem ehemaligen Salzbergwerk eingelagert: Tausende Kubikmeter Atommüll, der hauptsächlich von den Kraftwerken der vier Betreiber in Deutschland, E.ON, EnBW, RWE und Vattenfall, stammt. Erst vor kurzem wurde bekannt, dass 15.000 Fässer eine höhere Radioaktivität enthalten könnten als bisher angenommen: „Bis zum Faktor zehn“ höher könnte der Strahlenwert sein. Eigentlich galten die betreffenden Fässer als „schwach“ radioaktiv.

„Ich traue denen nicht mehr“, sagt der Taxifahrer. Er meint die zuständigen Politiker. Zu oft hätten sie beschwichtigt, geschönt und geschwiegen. In den 1970er Jahren hat er als Student Flugzettel verteilt. Die Bauern in der Umgebung, erzählt er, hätten sie nicht haben wollen. Atomstrom galt als sauber und günstig. Der Soziologe Dieter Rucht vom Wissenschaftszentrum Berlin hat noch eine weitere Erklärung: Jemand, der in der Nähe einer möglichen Gefahrenquelle wie eines Atomkraftwerks wohnt, sieht eher weg, verdrängt — anders „hält man es ja im Kopf nicht aus“.

Forschung als Vorwand

Im Salzstock Gorleben sollte ein Endlager entstehen, in der Asse wurde deshalb geforscht. Man wollte herausfinden, wie Salz auf starke Strahlung reagiert, welche Techniken es braucht, welche Abdichtungen. Schon in den 1960er Jahren war bekannt, dass der Boden der Einlagerungssohle feucht ist, dass der Berg voller Risse ist, dass Wasser einsickern kann. Doch 1967 begann man trotzdem damit, radioaktive Abfälle einzulagern. Baut ihr Atomkraftwerke, wir kümmern uns um den Abfall – das war, platt gesprochen, damals der Ansatz der Politik. Die Asse und ihr Müll sind deshalb heute das finanzielle Problem der Steuerzahler und nicht jenes der Energiekonzerne.

„Glück auf!“, grüßt der Arbeiter. Er trägt wie alle hier unter Tage das klassische Bergmannszeug: blaues Hemd, feste Schuhe, Helm, Lampe, Sauerstoffretter, den man wie eine Handtasche über die Schulter hängt, und Strahlendosimeter. Mit dem Aufzug geht es blitzartig auf 490 Meter hinunter. Der Wind weht dabei kräftig, es ist dunkel, nur die kleinen Lampen spenden etwas Licht. Unten sind Fahrzeuge abgestellt. Mit einem geht es einen Tunnel entlang. Es ist zu sehen, wie der Berg arbeitet – und was er, als Folge des Ausschlachtens, anrichten kann: Die Abbaukammern werden vom Berg zusammengedrückt.

„Absaufen“ droht

Die zahlreichen Hohlräume sind nur unvollständig mit Salz verfüllt worden. Die Pfeiler, die die Kammern stabilisieren sollten, reißen auf. Ein, zwei Meter breit sind die Risse. An einer anderen Stelle haben die Stahlträger einen Bauch bekommen: Es sieht aus, als wären sie aus Gummi. 12.000 Liter Wasser dringen täglich in das Bergwerk ein.

Weiter geht es durch die Tunnel, noch einmal 200 Meter tiefer: Das aufgefangene Wasser wird in Sammelbecken geleitet. Das Wasser wird hochgepumpt. Über Tage, wie es im Jargon heißt, leitet man es weiter in ein stillgelegtes Bergwerk. Unter Tage wird derweil versucht, das Bergwerk zu stabilisieren: Arbeiter ziehen Mauern auf, sichern das Gestein, stellen Beton her, analysieren Gestein, Wasser und Lösungen. Die Fässer sollen laut einem erst Anfang des Jahres ausgesprochenen Vorschlag aus dem Berg gebracht, neu verpackt und anderswo eingelagert werden. Heuer noch soll die erste Abfallkammer angebohrt werden, durch eine bis zu 40 Meter dicke Salzschicht soll der Weg zu den Fässern freigelegt werden. Ein Fass freilich darf dabei nicht getroffen werden. Bis 1978 hatte man die Fässer in die Kammern plumpsen lassen. Dort sollten sie, beschädigt und rostend, bleiben. Nun droht das Bergwerk „abzusaufen“, wie es vom Bundesamt für Strahlenschutz heißt.

In der Umgebung wurde der Widerstand gegen Atomkraftwerke und Atommüll zuletzt immer größer. Denn nach und nach kam ans Licht, was in der Asse los ist. Man hörte von beschädigten Fässern, von radioaktivem Laugensumpf und der steigenden Gefahr. „Die Asse hat vielen hier klargemacht, dass Atommüll nicht weiter produziert werden darf. Es gibt ja keine Unterbringung“, sagt Ursula Kleber vom Verein AufpASSEn. Viele hätten Angst, manche gingen nur noch mit dem Geigerzähler in den Wald.

„Freiwillig zieht hier keiner her“, sagt ein Bewohner des Landkreises Wolfenbüttel. „Wegziehen geht aber auch nicht. Man würde doch kaum noch etwas für die Häuser bekommen.“

Erschienen in: Wiener Zeitung

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