Auf dem Weg zum „Späti“ kommt mir ein Mann mit nacktem Oberkörper und sehr kurzer, knallgrüner Hose auf dem Fahrrad entgegen. Wie macht der das? In der Mittagshitze bei 37 Grad sieht er aus wie das blühende Leben. Kein rotes Gesicht, kein offensichtlicher Schweiß – dafür ein unglaublicher Waschbrettbauch und ein Lächeln im Gesicht. Ich schleppe mich zur nächsten Ecke, in einen der tausend „Spätkaufs“ von Berlin: ein kleiner Laden, Späti genannt, in dem es Limo, Bier, Chips und Zigaretten gibt. Die zwei Ventilatoren bringen nicht viel. Aber der Verkäufer ist guter Dinge: Das Geschäft brummt, vor allem am Abend ist die Hölle los. Die Straßen in Neukölln sind voll mit Menschen, die ein Getränk in der Hand halten. Für Sonntag sind 38 Grad angekündigt.
In Kreuzberg gibt es mittlerweile ein Grillverbot. Der „Tagesspiegel“ rät, die Gruft im Berliner Dom zu besuchen. Der Berliner Tierschutzverein teilt mit, zurzeit nur „sehr eingeschränkt“ Tiere zu vermitteln, da diese unter dem Transport zusätzlich leiden würden. Die „Berliner Zeitung“ erinnert ihre Leser daran, Obdachlose mit Wasser zu versorgen und im Fall des Falles den Notarzt zu rufen. Und die Polizei in Brandenburg twittert, man habe einen nackten Mann auf dem Roller gebeten, nicht nur mit Sandalen und Helm zu fahren, sondern auch mit einer Hose. Antwort: „Et is halt warm, wa?“
Im Deutschkurs habe ich mit meinen Schülern als erstes Fächer gebastelt. Ich unterrichte Geflüchtete. Diese Temperaturen seien kein Thema für sie, sagt die Frau aus dem Jemen. Sie erträgt die Hitze stoisch. Wir anderen siechen dahin. Nur der Mann aus Afghanistan freut sich: „Super Wetter.“ Er wisse schließlich, wie sich 45 Grad anfühlten. Da lacht der Schüler aus der Südosttürkei. Völlig richtig. Kennt er eh auch. Eigentlich halb so wild hier.
Erschienen in: Profil, 06/2019 – Profil-Korrespondenten berichten aus besonders stark betroffenen Ländern und Städten über die Hitzewelle: Europa wird von einer der schlimmsten Hitzewellen seit Beginn der Aufzeichnungen heimgesucht. Vor dem Hintergrund des Klimawandels muss sich der Kontinent darauf einstellen, dass tropische Sommer zum Dauerzustand werden.