Leise sein wollte sie nie

Die taz, das Paradeblatt linker Gegenkultur, feiert den 30er

Klinsmann am Kreuz, da hört sich der Spaß auf – jedenfalls für den FC Bayern. Sein Trainer war auf der Titelseite der Osterausgabe der Berliner tageszeitung, kurz taz, zu sehen: „Always look on the bright side of life“ stand daneben, die Nummer aus dem Monty-Python-Film „The Life of Brian“ – Jürgen Klinsmann als Brian-Fotomontage. Nun will der Tormann klagen. Die taz antwortet so: „Wir stellen nur satirisch dar, wie Klinsmann in der Öffentlichkeit vom Heilsbringer zum Buhmann und Nichtskönner degradiert wurde.“

Die taz gibt es inzwischen seit 30 Jahren. Leise sein wollte die Zeitung noch nie. Was aber gute Provokation ist, was spaßig ist, was klug und was einfach nur blöde, darüber sind sich seither weder Schreiber noch Leser einig. Gemein ist den tazlern nur, „links“ sein zu wollen, „kritisch“, „anders“ und einer „Gegenöffentlichkeit verpflichtet“ zu sein. Das kann heißen, Meldungen ins Blatt zu bringen über Genmaiszerstörer („Feldbefreier“) und „Robin Wood“-Aktivisten, die sich auch einmal tagelang an Bäume ketten, damit diese nicht gefällt werden. Es kann heißen, dass man das eher belächelt und lieber Poptheoretiker Diedrich Diederichsen druckt, was dann von den anderen mit Kopfschütteln bedacht wird (wenn überhaupt wahrgenommen). Es kann heißen, Texte über „Postkapitalismus“ zu verfassen oder sich eben Titel wie jenen zu Klinsmann auszudenken. 1980 äußerte sich dieser Anspruch auch in „Waffen für El Salvador“, einer taz-Spendenaktion für die Befreiungsbewegung, oder 1988 führte er die taz-Frauen dazu, wegen einer „Pornoseite“ zu streiken, auf der eine Banane als Phallussymbol dargestellt war.

Das immer wieder diskutierte Projekt einer linken Tageszeitung war auf dem Tunix-Kongress 1978 konkreter geworden. Tausende trafen sich an der Technischen Universität Berlin, um über das „Was tun?“ nach dem deutschen Herbst zu diskutieren. „Die theoretischen Konzepte des SDS und der 68er waren so gescheitert wie der marxistische Dogmatismus der K-Gruppen, die Versuche, das Proletariat über Betriebsarbeit zum Klassenkampf zu führen, oder der lange Marsch durch die Institutionen“, erinnert sich der Teilnehmer, taz-Redakteur und Buchautor Mathias Bröckers. Aus den neuen Autonomen- und Alternativbewegungen nach dem Tunix-Kongress ging auch die taz hervor. Ihre Ziele: „Die Blockierung und Gleichschaltung der bestehenden Medien durchbrechen, Informations- und Diskussionsforum für eine autonome Linke in der BRD aufbauen und einen Bezugspunkt für ein Alltagsleben schaffen, das sich gegen die herrschenden kulturellen Normen neue Lebenszusammenhänge aufzubauen sucht.“

Gegenkultur, Solidarität mit der Dritten Welt, Ökonomie und Ökologie, darum ging und geht es der taz. Doch viele ihrer Themen – egal, ob Atomdebatte, Klimawandel, fairer Handel – gehören mittlerweile selbstverständlich auch zum Inhalt anderer Zeitungen. „Die taz ist der Beweis für die Veränderungen der Gesellschaft“, sagt Chefredakteurin Bascha Mika. Die Bundesrepublik sei in den vergangenen drei Jahrzehnten liberaler und offener geworden. „Dazu hat die taz mit ihren Themen und ihrem publizistischen Auftritt durchaus beigetragen.“ Auch Dietmar Bartz, einst taz-Redakteur, dann Chef vom Dienst der deutschen Vanity Fair, sagt, manche Themen hätten erst breite Relevanz durch die taz-Berichterstatttung erhalten. „Aber das hat nachgelassen.“ Für den 1996 verhafteten und dann verschwundenen iranischen Schriftsteller Faradsch Sarkuhi etwa wurde eine Kampagne initiiert, und eine Sondernummer gab es auch, als 1980 in der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague ein Störfall aufgetreten war. „Die taz ist in Gefahr, zu mainstreamig zu werden“, meint der ehemalige taz-Chefredakteur Arno Luik, der heute für den Stern schreibt. „Manchmal sind in der taz ja die Leserbriefe interessanter als die Artikel selbst.“ Klar ist aber auch, dass die Leserschaft der taz hohe Erwartungen an die Zeitung hat. Und die sind eben sehr unterschiedlich: Einmal ist die Zeitung nicht lustig genug, dann wieder nicht klug genug. Den einen sind Berichterstattung und Kommentare zu G20-Treffen zu freundlich, den anderen ist die taz zu nah dran an Organisationen wie den Globalisierungskritikern Attac, es kommen immer wieder Drohungen, das Abo zu kündigen, „wenn noch einmal …“.

All das gehört zur taz. Die Zeitung macht eben auch aus, dass es viele Stimmen und Ansichten gibt und niemanden, der die Funktion hätte, den Weg zu bestimmen mit einem „Basta!“. Chefredakteure oder Ressortleiter werden abgesetzt, wenn sie nicht mehr passen. Wer will, kann in den täglichen Morgenkonferenzen darüber mitdiskutieren, welche Themen ins Blatt sollten oder welche man besser draußen gelassen hätte. Immer wieder gibt es dabei auch Schläge unter die Gürtellinie. Satiriker und Ex-tazler Wiglaf Droste spricht im Interview in der Süddeutschen zum taz-Geburtstag von einem „notorisch pestlaunigen Arbeitsklima, in dem Heuchelei, Intriganz, Schlampigkeit und Desinteresse an der Sache gedeihen“. In seinem Buch „Eine Zeitung als Lebensform“ schreibt der frühere taz-Kulturredakteur Jörg Magenau, heute Nachfolger von Sigrid Löffler beim Magazin Literaturen, über die Anfänge: „Die taz war ein Sammelbecken an Egoismen. In diesem kollektiven Trainingsgelände dominierten individuelle Überlebenstechniken, die das Menschenbild des Liberalismus bestätigen, wonach das Gemeinwohl sich aus der Summe der Eigeninteressen ergibt. Auch so gesehen funktionierte der Alternativbetrieb als Keimzeile eines neuen Bürgertums.“

„Ich hab mich immer sehr wohlgefühlt“, meint Christian Semler, Mitbegründer der maoistischen Kommunistischen Partei Deutschlands und mit 70 Jahren ältester taz-Autor. Einen Hauptkonflikt sieht er allerdings noch nicht ausgestanden: Wie weit soll sich die taz einem Blatt mit gewissen Boulevardzügen annähern? „Da wird es einmal noch richtig krachen“, sagt Semler. Nämlich zwischen jenen, die das Politische beibehalten wollen – jene, die laut Semler auch als „langweilige, dogmatische Linke“ angesehen würden -, und den anderen, die es gern ein etwas spaßiger haben, wozu auch der „typische intellektuelle Mittelstand mit ökologischem Bewusstsein“ zähle. Ein bisschen spiegelt sich das in der Frage „Rot-Rot-Grün“ oder „Schwarz-Grün“ wider. Der einstige „Revolutionär“ hat für Ökolifestyle und Verbraucherservice jedenfalls nicht viel übrig. Diese Themen allerdings machen einen guten Teil der „Sonntaz“ aus, der neuen Wochenendbeilage des Blattes, das zum 30. Geburtstag außerdem ein neues Layout bekam. 3000 Exemplare mehr hofft man damit am Wochenende abzusetzen. 60.000 Stück beträgt derzeit die Auflage.

Die Wirtschaftskrise nimmt man derzeit dennoch vergleichsweise gelassen: Die Zeitung lebt kaum von Anzeigen. Während die anderen Blätter zu rund 60 Prozent von Werbeeinnahmen abhängig sind, sind es bei der taz 15 Prozent. Es gibt einen kleinen, zielgerichteten Kundenstock – und sollte dennoch einmal der Energiekonzern Vattenfall schalten, löst das weniger innerhalb als viel mehr außerhalb der Redaktion eine große Diskussion darüber aus, ob man sich vom Feind finanzieren lassen darf. Das Überleben der Zeitung sichert seit 1992 das Konstrukt einer Genossenschaft: Derzeit sind es knapp 8500 Genossen, die einmalig 500 bis 25.000 Euro zahlen und damit auch die publizistische Unabhängigkeit ermöglichen. Geld fehlt trotzdem immer. Den berühmten Einheitslohn gibt es seit 1991 nicht mehr, Ressortleiter bekommen ein bisschen mehr für den bürokratischen Aufwand. Reich wird man damit nicht. Viele tazler schreiben zusätzlich für andere Publikationen, verfassen Bücher, moderieren Veranstaltungen, um das (Familien-)Einkommen aufzubessern.

Welche Rolle bei der Finanzierung das Internet spielen kann, ist unklar. Einst war die taz Vorreiter: Als erste deutschsprachige Zeitung stellte sie 1995 ihre Texte vollständig ins Netz. Inzwischen ist Spiegel online, was die Klickzahlen betrifft, überlegener Erster unter den Top-25-Nachrichtenseiten, die taz hingegen auf Platz 22 gerutscht. Das ist schlecht für die Werbeeinnahmen. Viele Genossen lesen lieber auf Papier als online. Die Frage aber, wie man Qualitätsjournalismus auch im Netz garantieren kann, wenn dieser nichts kostet, stellt sich nicht nur die taz. Mit einer neuen Site versucht man jedenfalls, sich wieder stärker ins Spiel zu bringen. bewegung.taz.de soll eine Plattform für „gesellschaftlich Engagierte und alternative Lebensformen“ bieten. Eins will man aber definitiv nicht mehr: Bewegungszeitung sein. Das ist vorüber. Begleiten, berichten – mit kritischer Distanz. Zumindest darin sind sich die tazler einig.

Infobox:

Die taz erscheint seit dem 17. April 1979

Insgesamt sind bei der taz 125 Frauen und 123 Männer beschäftigt.

„Oh mein Gott“ zählt zu den besten Titeln der taz-Aufmacher – als Gegenstück zur jubelnden Bild-Zeitung „Wir sind Papst“ nach der Wahl Joseph Ratzingers

Neben der Zeitung verkauft die taz auch fairgehandelten tazpresso, Fahrräder und Biobrownies.

ERSCHIENEN IN: Falter. 04/2009

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