Karl-May-Museum: Verstaubt und beliebt

Silberbüchse, Bärentöter, Henrystutzen: Da stehen sie, die berühmten Gewehre von Old Shatterhand, die Schätze der Villa Shatterhand, in der Mitte des Museums, sofort für jeden zu sehen. Sie sind keine Erfindung, genauso wenig wie der Held – daran wollte Karl May keinen Zweifel lassen. „Ich bin wirklich Old Shatterhand“, hat er verkündet und sich als Beweis dafür passend gekleidet mit seinen Gewehren fotografieren lassen. Dabei fehlen die Zündkanäle. Die „berühmte Silberbüchse, deren Kugel niemals ihr Ziel verfehlte“, wie es im „Sohn des Bärenjägers“ steht, ist gar nicht schussfähig. Und natürlich stammen Silberbüchse, Bärentöter und Henrystutzen nicht aus dem Wilden Westen. Der Büchsenmacher Oskar Max Fuchs hat sie um 1900 in Radebeul gefertigt, in jener Stadt, in der Karl May seine letzten 16 Lebensjahre verbrachte.

60.000 Besucher kommen jedes Jahr in Karl Mays Wohnhaus, die Villa Shatterhand. Dieses Jahr, zum hundertsten Todestag am 30. März, erwarten die Museumsbetreiber noch mehr Fans. Seit 1985 ist das Haus ein Museum. Kaum früher war es den DDR-Bürgern auch möglich, Karl Mays Bücher ohne Probleme lesen. „Deutschtümelei“ hatte ihm die Spitze der SED, der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, jahrelang vorgeworfen. In der Villa Shatterhand war ein Hort eingerichtet worden.

In einer Viertelstunde ist man vom Dresdner Hauptbahnhof mit der S-Bahn in Radebeul, nach ein paar Minuten zu Fuß in der Karl-May-Straße. Dort sind an einem der Häuser goldene Letter angebracht: Villa Shatterhand. „Entdecken Sie die abenteuerliche Phantasiewelt Karl Mays und die historische Lebenswelt der Indianer Nordamerikas“ steht am Eingang. Durch einen kleinen Garten mit Riesenmammutbäumen, Coyoten- und Faschingsindianerfiguren geht es an der Villa Shatterhand vorbei zur Kasse in der Villa Bärenfett. In dem rot-braunen Blockhaus – ganz Wilder Westen – ist die Ausstellung zu den „Indianern Nordamerikas“ untergebracht.

Dunkel ist es im ersten Raum. An den Holzwänden hängen die Köpfe toter Tiere: Ein Büffel, ein Bär, ein Bison, ein kanadischer Elch, ein Grauwolf, ein Puma, ein Alligator, im Eck ein Maultierhirsch. Auch der Bauchpanzer einer großen Wasserschildkröte schmückt den Raum, genauso wie der ausgestopfte Waschbär in einer Nische. Die Abenteuerwelt des Karl May – eine Welt, in deren Nähe er bis zur Jahrhundertwende nicht gekommen ist. Erst 1908 reiste er nach Amerika, wenn auch nicht in den „Wilden Westen“; bis 1899 war auch nicht im Vorderen Orient gewesen. Von der Heimat aus, mit Hilfe von Lexika und Landkarten, schrieb er über die Welt von Old Shatterhand, Kara Ben Nemsi, Hadschi Halef Omar und von Winnetou.

Über den eingespielten Vortrag erfährt man, dass Ethnologen Indianerstämme in Kulturareale zusammenfassen. Daran orientiere man sich auch in der Ausstellung. Man wolle außerdem die Vielfalt der Kulturen vermitteln. Die Indianer der Nordwestküste etwa seien Meister des Korbflechtens gewesen, des Schnitzen und des Malens und hätten hauptsächlich vom Fischfang gelebt; die Athapasken in Alaska hätten Rentiere gejagt und Pelze getauscht. Als Folge des sogenannte Goldrausches von 1896 sei ihre Kultur weitgehend zerstört worden. Auch von der Schlacht am Little Bighorn im heutigen Montana werde man erfahren, in der Indianer am 25. Juni 1876 das 7.US-Kavallerieregiment erfolgreich schlugen, dafür aber anschließend umso erbitterter bekämpft wurden.

Das Museum wirkt düster und etwas verstaubt. Schrittweise soll das Haus generalüberholt werden, es soll neue Beleuchtung und Präsentationen geben und einen Raum über das heutige Leben der Indianer, heißt es. Das fehlt tatsächlich. Auch von Globalgeschichte erfährt man wenig. Überhaupt: Ein paar größere Tafeln mit wissenschaftlichen Erläuterungen würden der Ausstellung gut tun.

Besucher mögen das Museum auch so wie es ist. Vor einem Kanumodell aus Baumrinde steht ein begeisterter Vater und sagt mehr zu sich als zu seinem Sohn, dass man so etwas doch nachbauen könnte. Da sei nicht viel dabei. Begeisterung auch vor einem großen Leinentuch, auf dem General Custers „letzter Kampf“ am Little Bighorn dargestellt ist. Erst vor zehn Jahren hat man den Schöpfer der Zeichnung ausmachen könne – als Arthur Amiottes 2002 das Museum besuchte und erzählte, dies sei sein Urgroßvarter gewesen, der auch an der Schlacht teilgenommen habe. Amerikaner kämen in erster Linie wegen des Indianer-Museums nach Radebeul. Karl May sage ihnen meist nichts, berichtet Claudia Kaulfuß vom Karl-May-Museum.

Wenn Amerikaner von Karl May wissen, dann in Zusammenhang mit Adolf Hitler. Der „Führer“ mochte den Autor und seine Abenteuergeschichten. „Plötzlich galt ausgerechnet dieser friedliebende Phantast als Wegbereiter der braunen Massen, ausgerechnet jener Pazifist, der noch in seinem letzten Wiener Vortrag die Kinder Israels gerühmt hatte, wurde nun mit den Wahnsinnstaten der Nationalsozialisten in Verbindung gebracht“, schrieb der Gründer des „Spiegel“, Rudolf Augstein, einmal. Klaus Mann etwa bezeichnete das „Dritte Reich“ als „Karl Mays endgültigen Triumph“. Auch Karl Mays Beschreibung des weißen Helden, des edlen Winnetou und seine strikte Einteilungen in „Gut“ und „Böse“ lieferten Vorlagen für solche und ähnliche Sätze.

Von Rezeptionsgeschichten wie dieser erfährt man in der Villa Shatterhand nichts. Hier kann der Besucher voll eintauchen in die Fantasiewelt Karl Mays mit Bärenfell, Löwenkopf und arabischem Kaffeetischchen in seiner Bibliothek. Auch ein großes, schweres Buch ist zu sehen mit einem offenen Brief: Bei seinen „oft sehr lange währenden Reisen, welche mich von der Heimat fernhalten“,sei es ihm „unmöglich, die zwar in sehr erfreuliche, aber oft auch überwältigende Zahl“ an Zusendungen sofort zu erledigen, schreibt Karl May. „Ergebenst“ bittet er seine Fans zugleich, mit ihrem Brief doch ein Bild von sich mitzuschicken. Das taten eine Menge. Und die Fangemeinde wurde offensichtlich nicht kleiner – im Gegenteil: Bis heute wurde mehr als 200 Millionen Bücher von Karl May verkauft.

Erschienen in: OÖN 03/2012

About the author