Der Staat als Retter: Das reicht nicht

Als kürzlich die Insolvenz des deutschen Arcandor-Konzerns näher rückte, war SPD-Chef Franz Müntefering sofort zur Stelle: „Das Management hat große Fehler gemacht. Sollen dafür jetzt die Mitarbeiter bestraft werden? Deshalb sage ich jedem, der Karstadt und andere einfach pleitegehen lassen will: Geht ins Kaufhaus und sagt es der Kassiererin ins Gesicht – und denkt an die Verantwortung, die die Politik gerade in diesen Zeiten der Krise hat!“ Müntefering tat dies wenige Monate vor der Bundestagswahl, und er tat es in der Bild-Zeitung.

Mit der „Verantwortung“, von der er hier spricht, meint Müntefering Staatsbürgschaften: 650 Millionen Euro braucht der Konzern, zu dem die Karstadt-Kette gehört. Am 12. Juni läuft ein Kredit aus. Und dann? Insolvenz! 50.000 Arbeitsplätze! Die Karstadt-Angestellten gingen auf die Straße, keiner will verständlicherweise seinen Job verlieren, schon gar nicht, wenn Wirtschaftskrise herrscht. Das Hauptargument: „Staat, du hast doch auch Opel geholfen.“ Und schon sprang wieder Müntefering bei: Jeder Arbeitsplatz sei gleich viel wert.

Seit Herbst ist die Rolle des Staats wieder Thema in der öffentlichen Wahrnehmung. So wichtig die Debatte, so seicht ihr Niveau. Statt tiefer gehende Ursachenforschung zu betreiben, wird auf einen diffusen Feind hingehackt: böse Manager, brutale Konzerne. Daneben dominiert die Vorstellung, Horden von Arbeitslosen könnten ihrer Wut freien Lauf lassen – oder zumindest die nächste Wahl versauen.

Welchen Unternehmen aber soll der Steuerzahler helfen und in welchem Umfang?

In Deutschland gibt es Regeln, die indirekt auch für die mit Deutschland verzahnten österreichischen Betriebe relevant sind: Ein Kredit- und Bürgschaftsprogramm des zweiten Konjunkturpakets soll „solide große und mittelständische Firmen, die allein wegen der Finanzkrise von den Banken keine Kredite mehr erhalten“, unterstützen. Ein Ausschuss soll klären, ob das Unternehmen nicht doch auch anderswo Geld besorgen kann, ob die Schwierigkeiten nicht schon vor dem Stichtag, dem 30. Juni 2008, bestanden, und schließlich, wie hoch der volkswirtschaftliche Schaden bei einer Pleite wäre.

Karstadt fällt in zwei der drei Punkte nicht hinein. Und Opel? „Ein besonderer Fall“, sagt Kanzlerin Angela Merkel und gewährt einen Überbrückungskredit von 1,5 Milliarden Euro. Belgien bietet bis zu 500 Millionen Euro an Hilfen, Polen 340 Millionen. Das Opel-Werk in Antwerpen beschäftigt 2500 Mitarbeiter, jenes im Süden Polens 3500. Knapp 7000 arbeiten im Werk in Saragossa – wie viele Millionen Euro werden es für Spanien werden? In Österreich kann GM Europe bzw. Magna bis zu 300 Millionen Euro an Staatshaftungen beantragen – dafür soll es laut Finanzminister Josef Pröll eine Standortgarantie geben. GM Europe hat ein Motorenwerk mit 1800 Beschäftigten in Wien.

Standortgarantie hin oder her: Die Opel-Geschichte kann gutgehen oder auch nicht. Vielleicht wird der Tod nur hinausgezögert, vielleicht auch nicht. Werden die Russen wirklich wie wild Opels kaufen, so wie es der deutsche Exkanzler Gerhard Schröder prophezeit? Das liegt nicht im Einflussgebiet der Politik. Bei GM und Opel ging es um einen Investor, einer sprang ab, zwei andere wollte man nicht. Frank Stronach sagte zu, gemeinsam mit der russischen Sberbank die vorgestreckten Hilfen abzulösen und Opel zu „retten“.

Aber längst bevor GM und damit Opel die Insolvenz drohte, hätte die Politik handeln und stärkere Vorgaben machen können: Zwar hat Opel schon auf vergleichsweise klimafreundliche Modelle gesetzt, der bisherige Mutterkonzern GM aber praktizierte das Gegenteil und bestärkte Kritiker, die die Krise der Automobilbranche als hausgemacht bezeichnen. Und als vor Weihnachten in Brüssel über neue Obergrenzen bei den Abgaswerten diskutiert wurde, drohte die Industrie mit Werksschließungen. Arbeitsplätze sind immer ein passendes Argument – ob es um Lohnverhandlungen, Umweltauflagen oder um Geldnot geht. Politiker lassen sich davon gern erpressen.

Münteferings Rhetorik erinnert allzu sehr an Vorgaben des real existierenden Sozialismus. Andererseits: Einfach einmal ein paar zehntausend Arbeitslose in Kauf zu nehmen, kann auch nicht die Antwort sein.

Vielleicht sollte wieder einmal ernsthaft damit begonnen werden, das ganz große Bild zu malen, mit dem ganz dicken Pinsel: Was kann gegen Arbeitslosigkeit getan werden, fernab der Krise? Welches Bildungssystem hilft dabei und welches Sozialsystem? Eine starke Exportwirtschaft sei wichtig, „aber unser Geschäftsmodell war unbalanciert“, sagt Peter Bofinger, der Außenseiter der fünf Wirtschaftsweisen der deutschen Regierung, über den Exportweltmeister Deutschland: Die Deutschen hätten zu wenig konsumiert. Dass die Verbrauchssteuern gestiegen sind und die unteren Einkommensschichten stärker belastet wurden, hat wohl dazu beigetragen.

Aber wie es Deutschland geht, fällt auf Österreich zurück. Die Wirtschaft beider Länder ist eng verflochten, und die Politik marschiert oft im Gleichklang. Auch hierzulande ist man der Unterstützung durch den Staat nicht abgeneigt. Dagegen wäre auch nichts zu sagen – wenn man sich denn damit auseinandersetzte, wohin die Reise gehen soll, über die Rettung von Arbeitsplätzen hinaus.

Kommentar, erschienen in: Falter. 06/2009

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