„Der Iran ist angreifbar geworden“

Welche Folgen haben die Doppel-Anschläge in Teheran für den Iran und den Nahen Osten?
Bahman Nirumand: Die Anschläge werden eine große Auswirkung auf die iranische Politik haben. Iran – also das Regime – hat sich bisher als Insel der Ruhe, Stabilität und Entwicklung dargestellt. Das ist nun nicht mehr so, das Regime ist angreifbar an sensibelsten Stellen, am Chomeini-Mausoleum und im Parlament.

Wer steckt hinter den Anschlägen?
Es gibt drei Optionen: Erstens, es ist tatsächlich der sogenannte Islamische Staat. Gründe dafür gäbe es, der IS betrachtet Iran ja als Feindesland, von Schiiten beherrscht – aus der Sicht des IS Feinde des Islam. Außerdem ist der IS ja zu einer anderen Strategie übergegangen: Statt sich auf staatliches Gebiet zu konzentrieren, verübt er Anschläge in Afghanistan, im Irak, in der Türkei und nun vielleicht im Iran.

Welche weitere Theorie gibt es?
Die zweite Option hängt mit den Vorgängen der letzten Wochen in den arabischen Staaten zusammen. Offenbar wurde mit US-Präsident Trump zusammen eine Strategie gegen den Iran festgelegt, eine Front gebildet. Iran wird als größter Feind der Region gesehen, man will eine arabische Nato gründen. Die Isolation von Katar hat direkt mit Iran zu tun. Katar unterstützt Terroristen natürlich genauso wie Saudi-Arabien, also liegt der eigentliche Grund in der Annäherung von Iran und Katar.

Aber wie eng sind Katar und Iran wirklich?
Es gibt viele Abkommen – zum Beispiel zu Sicherheitsfragen oder zu Handelsbeziehungen. Es gibt gemeinsame Öl- und Gasfelder und gemeinsame Strategien für den Weltmarkt. Durch den Abbruch der diplomatischen Beziehungen versuchen die arabischen Staaten, Katar unter Druck zu setzen. Katar soll zur arabischen Front zurückkehren – was es höchstwahrscheinlich nicht tun wird. Es kann also sein, dass die Araber versuchen, Unruhe zu stiften.

…und hinter den Anschlägen stecken?


Das ist Spekulation, aber es könnte sein. Die dritte Spekulation führt ins Innere Irans: Hassan Rohani hat ja die Präsidentschaftswahl im Mai gewonnen. Der Wahlkampf wurde sehr scharf von beiden Seiten geführt, also den Ultras und Konservativen sowie den Gemäßigten und Reformern. Das hat die Gesellschaft gespaltet. Die Ultras haben sehr viel Macht, sie beherrschen die Justiz, den Wächterrat, die Streitkräfte und sind viel mächtiger als der Präsident.

Also ein hausgemachtes Attentat?
Möglicherweise. Damit könnte man das Land verunsichern und mit großen Repressionen reagieren, also genau das Gegenteil von dem tun, was Rohani vorhat – nämlich eine Öffnung nach innen und nach außen. Es könnte in Folge zu einem Putsch der Ultras kommen.

Halten Sie einen militärischen Angriff Saudi-Arabiens für möglich?
Der saudische Außenminister sagte kürzlich, man arbeite daran, dass der Krieg auf iranischem Boden stattfinde. Iran wiederum ist militärisch nach Israel die stärkste Militärmacht in der Region. Die Saudis haben viele moderne Waffen, die ihnen die USA verkauft haben. Sie können sie aber nicht benutzen, sie sind dafür nicht ausreichend ausgebildet – es sei denn, die Amerikaner engagieren sich. Das aber wäre das Risiko eines dritten Weltkrieges. Denn Russland würde dann nicht stillhalten.

Dieser Tage ist der Iran – zumindest in Deutschland – auch aus einem anderen Grund in gewisser Weise Thema: Vor genau 40 Jahren besuchte der Schah die BRD. Sie waren der Initiator der Proteste, die eine enorme Tragweite mit sich brachten.
Ja, aber in der allgemeinen Erinnerung an 1967/68 spielt Internationalismus und wie der Westen Diktaturen in der dritten Welt unterstützt hat, nur eine kleine Rolle.

Sie hatten damals ein Buch über die Lage im Iran geschrieben, das nicht zum Bild passte, das viele in Deutschland vom Schah und seiner schönen Frau hatten. Wie groß war Ihre Angst vor dem iranischen Geheimdienst?
Das Buch ist in vielen Ländern erschienen, nicht aber im Iran. Ich hatte Angst. So weit wie möglich habe ich mich geschützt und aufgepasst.

Auf der Demonstration am 2. Juni 1967 wurden auch Sie von Anhängern des Schahs mitten in Berlin niedergeknüppelt. Das kann man sich heute so nicht mehr vorstellen.
Das waren die „Jubelperser“ oder „Prügelperser“. Aber so unvorstellbar ist das auch heute nicht, man braucht nur daran zu denken, was der türkische Geheimdienst macht.

Ist das, was Sie damals erhofft hatten, von 1967/68 geblieben?
So viel, das wir heute als selbstverständlich nehmen, ist geblieben: Offenere Bildung, das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern, zwischen Politik und Bürgern, Rechte für Homosexuelle und für Frauen, Mitbestimmung im weitesten Sinn. Die deutsche Gesellschaft war ja völlig autoritär und provinziell. Die 68er-Bewegung hat viele Tabus gebrochen. Aber wir waren Utopisten. Wir hatten sehr viele Visionen. Und es ist nicht mal ein Teil von dem, was wir uns vorgestellt haben, Realität geworden. Andernfalls hätten wir nun hier das Paradies.

Und wie sähe das aus?
Freie, glückliche Menschen, nicht so ein Konsumrausch, keine Klassen, keine Aggressionen.

Das liegt aber nicht nur an der Politik, sondern an den Menschen selbst. Ein Syrer sagte mir kürzlich, er habe den Glauben an die Menschen verloren. Zu viele würden nicht hinterfragen, sondern blind gehorchen – der Politik und/oder der Religion.
Man sucht Halt, fühlt sich zuhause in einer Gemeinschaft mit gleichen Zielen. Wer Arbeit und eine Perspektive hat, für den ist Dogmatismus und die Flucht in Religion kaum interessant. Ich bin heute – anders als früher – weit davon entfernt, die Masse zu glorifizieren. Denn die Masse ist verführbar.

Was hilft? Muss man doch auf die Einsicht der Großmächte hoffen?
Es helfen: Aufklärung, Aufklärung, Aufklärung und Bildung, Bildung, Bildung. Aber ja, sehr viel hängt von den Großmächten ab. Die Völker sind einfach – Entschuldigung – zu dumm und zu ungebildet. Wir hatten im Iran diese wunderbare Revolution begonnen und dann haben sie uns die Mullahs geraubt. Weil Chomeini charismatisch war, viel versprochen hat, sind ihm die Leute hinterhergelaufen.

Zur Aufklärung und Bildung tragen auch freie Medien bei. Hier hat sich sehr viel verändert im Vergleich zu früher, Stichwort Springer und Bild-Zeitung.
Ja, Springer ist nicht mehr ganz so grauenhaft. Aber die Medienlandschaft ist auch heute in Deutschland nicht so offen und frei. Heute haben viele Angst, ihre Stellen zu verlieren. Und Journalisten üben viele Selbstzensur, wenn es um brisante Fragen geht.

Zum Beispiel?
Wenn es darum geht, kritisch gegenüber Israel zu sein. Gerade aufgrund der Geschichte Deutschlands muss man die israelische Regierung kritisieren. Denn deren Politik ist gefährlich, auch für die Israelis. Israel ist umgeben von Feinden. Und Israel hat zwar die stärkste Armee, aber das nutzt nichts, weil es einen asymmetrischen Krieg gibt. Schauen Sie nur nach Afghanistan, da konnten ganze Armeen nichts gegen die Taliban ausrichten.

Bahman Nirumand, 80, in Teheran geboren und 1965 aus dem Iran geflüchtet, ist Iran-Experte. Nirumand – eine zeitlang Deutschlands berühmtester Flüchtling – war außerdem der Hauptinitiator der Proteste gegen den Besuch von Schah Mohammad Reza Pahlavi am 2. Juni 1967, ein Ereignis von enormer Tragweite: Nachdem der Polizist Karl-Heinz Kurras den Demonstranten Benno Ohnesorg erschossen hatte, formierte sich die 1968er-Bewegung. Am Goethe-Institut in Teheran hatte Nirumand Hans-Magnus Enzensberger kennengelernt, der ihn dazu ermutigte, ein Buch über die tatsächliche Lage im Iran zu schreiben.

06/2017

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