Flüchtlingslager Lipa: ICMPD verklagt SOS Balkanroute – Prozess am Dienstag in Wien

Das in Wien ansässige Internationale Zentrum für Migrationspolitik (ICMPD) hat die NGO SOS Balkanroute sowie ihren Gründer Petar Rosandić wegen Kreditschädigung verklagt, am Dienstag findet am Wiener Handelsgericht der Prozess statt. Es geht um das Flüchtlingslager Lipa in Bosnien-Herzegowina und eine von ICMPD darin errichtete Internierungsanstalt – von Rosandić als „Guantanamo“ bezeichnet. Das ICMPD klagt auf Unterlassung und begehrt Widerruf.

Für die Anwältin Maria Windhager, die die NGO und Rosandić vertritt, ist die Frage der Auslegung ein vorgeschobenes Argument: Windhager ortet eine sogenannte SLAPP-Klage „wegen unliebsamer Kritik“. SLAPP steht im Englischen für „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“. Bewusst auch durch die zweite Klage gegen Rosandić persönlich sollen „die Beklagten offensichtlich eingeschüchtert werden“, heißt es im vorbereitenden Schriftsatz Windhagers, der der APA vorliegt.

Leiter des ICMPD ist der frühere Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP). Ihm zufolge hat die Organisation von der EU-Kommission den Auftrag erhalten, eine geschlossene Einrichtung innerhalb des Lagers zu errichten, um mutmaßlich gefährliche Personen zum Schutz anderer Bewohner für eine gewisse Zeit zu isolieren. Die Gelder für den Bau – 500.000 Euro – stammten ausschließlich von der EU. Der zuständige EU-Kommissar, der Ungar Olivér Várhelyi, hatte allerdings Ende November von einem „Pilotprojekt für das Lager Lipa“ gesprochen, „falsche Asylbewerber“ müssten „so lange festgehalten werden, bis sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren“.

Was also sollte der Zweck des Baus sein, über den bosnische Minister kürzlich erklärten, dass er nicht in Betrieb gehen werde? ICMPD verwehrt sich gegen das Wort „Gefängnis“. Für die Organisation steht zudem fest, dass mit „Guantanamo“ Schlafentzug, Isolationshaft und Dauerbeschallung verbunden wird. Durch die Tweets und OTS-Aussendungen der NGO werde „der unmittelbare Eindruck erweckt, die klagende Partei errichte im Camp Lipa ein „Gefängnis“ im Sinne einer Einrichtung zur systematischen Folterung (…)“, heißt es in der Klage, die der APA vorliegt.

NGO-Gründer Rosandić nannte den Bau eine „Abschiebehaftanstalt“ und ein „österreichisches Guantanamo“ – im Sinne eines rechtsfreien Raums ohne rechtsstaatliche Prinzipien, wie seine Anwältin sagt. Eine NGO dürfe „natürlich überspitzt formulieren, um sich Gehör zu verschaffen“, so Windhager gegenüber der APA. „Und eine internationale Organisation muss sich auch scharfe Kritik gefallen lassen.“

Windhager spricht von einem „bewusst verschleiernd als Anhalte-Einrichtung bezeichnetes Gefängnis“. Auch der bosnische Minister für Menschenrechte und Flüchtlinge, Sevlid Hurtić, hatte bei seinem Besuch Ende Mai in Wien von einem Gefängnis gesprochen und zudem auf die fehlende Rechtsgrundlage des Baus verwiesen.

Die außenpolitische Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, geht wie Rosandić davon aus, dass der Bau als Abschiebehaftanstalt gedacht war und nicht als eine Einrichtung für mutmaßlich gefährliche Menschen. Ernst-Dziedzic wurde für den Prozess als Zeugin beantragt. Im April hatte sie sich ein Bild vor Ort gemacht. Mit dem Auto fuhr sie in das 25 Kilometer von der Stadt Bihać entfernte Lager. Der Campleiter habe bekräftigt, dass es keine Probleme innerhalb der Einrichtung gebe, berichtete Ernst-Dziedzic. Die meisten Geflüchteten blieben demnach nur wenige Tage und versuchten, über die Grenze in die EU zu kommen. Wozu diene der Bau im Flüchtlingslager dann eigentlich, „wenn nicht dazu, um über Sarajewo weiter ohne faires Verfahren abgeschoben zu werden“, so Ernst-Dziedzic.

ICMPD spricht von einer „irreführenden, unvollständigen Darstellung“ und von „schlussendlich auch unwahren Behauptungen“ der NGO SOS Balkanroute. ICMPD geht es aber nicht nur um die Wörter „Gefängnis“ und „Guantanamo“. Die Organisation wirft SOS Balkanroute vor, dass „der Leser vor dem Hintergrund der Gesamtheit der Darstellung“ den Eindruck gewinne, ICMPD „stünde unmittelbar im Zusammenhang mit Pushbacks an der kroatischen Grenze“, „verantworte und/oder beauftrage“ diese oder „profitiere gar“ davon.

Dass das Nachbarland Kroatien Asylsuchende mit Gewalt nach Bosnien-Herzegowina zurückdrängt, ist seit langem bekannt und dokumentiert. Mit diesen sogenannten Pushbacks verstößt das EU-Land gegen geltendes Recht wie die EU-Grundrechte-Charta und die Menschenrechtskonvention: Menschen haben das Recht, einen Asylantrag zu stellen, der anschließend geprüft wird.

Windhager erklärte dazu gegenüber der APA, dass „gar keine unwahren Behauptungen verbreitet“ worden seien: „ICMPD versucht damit offenbar krampfhaft seine Vorreiterrolle bei der umstrittenen Migrationspolitik insbesondere für das Flüchtlingslager Lipa zu verharmlosen.“

APA/2023-07-17

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