Geflüchtete in Berlin: Warten, warten, warten

Rumsitzen, warten, nichts tun – das gab es bisher im Leben von Ali und Anmar nicht. Beide sind seit fast einem Jahr in Deutschland. In Afghanistan hat Ali zu arbeiten begonnen, als er noch keine zehn Jahre alt war. Anmar studierte in Syrien und entschloss sich dann zu einem handwerklichen Beruf. Zwölf-Stunden-Tage waren keine Seltenheit für ihn.

Im Oktober 2015 kam Anmar in Deutschland an. Nach unzähligen Versuchen erhielt er schließlich zwei Monate später bei der zuständigen Behörde einen Termin und wurde als Asylsuchender registriert. Seither wartet Anmar auf einen Termin für die Anhörung. Erst anschließend ist klar, ob und wie lange er in Deutschland bleiben darf. Ähnlich erging es Ali.

„Wir schaffen das“, sagte Angela Merkel vor einem Jahr – aber es hakt an vielen Stellen. Die zuständigen Behörden kommen mit der Bearbeitung nicht hinterher. Wer wann einen Termin zur Anhörung erhält, ist nicht vorauszusehen. Ohne eine Aufenthaltserlaubnis ist es allerdings schwierig, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen. Rechtlich ist dies frühestens drei Monate nach der Registrierung möglich – wobei das letzte Wort die Ausländerbehörde hat. Und selbst wenn die Ausländerbehörde eine Arbeitserlaubnis erteilt, sind bis zu dieser Entscheidung oft Wochen oder Monate vergangen.

Für alle Geflüchteten, egal ob sie noch auf ihre Anhörung warten oder bereits eine Aufenthaltserlaubnis haben, gilt ohnehin: „Eine Stelle ohne Deutschkenntnisse auf B1-Niveau zu bekommen, ist fast nicht möglich“, sagt Rukan Malas. Sie arbeitet als Beraterin bei der Einrichtung „Job Point“. Die Idee stammt aus den Niederlanden: Kostenlos und unbürokratisch kann jeder in eine der von der öffentlichen Hand mitfinanzierten Zweigstellen kommen und sich Hilfe bei der Arbeitssuche holen. Malas steht in engem Kontakt mit Unternehmen, sie kennt deren Anforderungen und Bedürfnisse und weiß auch um bürokratische Probleme und lange Wartezeiten. Laut einer Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft und des Wirtschaftsforschungsinstituts Ifo sagen beispielsweise 63 Prozent der befragten Betriebe, eine große Hürde für die Einstellung von Geflüchteten – besonders als Lehrlinge – sei die Unsicherheit über deren Aufenthaltsdauer. Dazu kämen fehlende Sprachkenntnisse.

„Die deutsche Sprache ist das A und O für einen Job“, sagt Malas. Üblicherweise wird die Sprachkompetenz in den Stufen A1, A2, B1, B2, C1, C2 angegeben. Der staatliche Sprachkurs für Migranten und Flüchtlinge – der sogenannte Integrationskurs – führt zum Niveau B1. Nicht alle Asylsuchenden dürfen daran allerdings teilnehmen. Auch jene, die das Recht oder die Pflicht haben, einen Integrationskurs zu besuchen, müssen mitunter lange auf einen Platz warten, schreibt die „Süddeutsche Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom Freitag.

Die Forderung der CSU, denjenigen Leistungen zu streichen, die keinen Kurs besuchen wollen, dürfte also unnötig sein. Das geht auch aus einer kürzlich veröffentlichten Studie der Berliner Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft hervor: Demnach ist die Integrationsbereitschaft unter den Geflüchteten hoch. Fast alle der Befragten – 97 Prozent – haben großes Interesse an einem Sprachkurs.

Viele Asylbewerber sind – so es diese gibt – auf ehrenamtliche Angebote angewiesen. Zu den Betroffenen zählen Asylbewerber aus Afghanistan. Die Bundesregierung begründet die Beschränkung mit deren schlechten Bleibeperspektive. Erst wenn ihr Asylantrag positiv beschieden sein sollte, dürfen auch sie einen Integrationskurs besuchen. Flüchtlinge aus Syrien, Irak, Iran, Eritrea und Somalia können dagegen bereits vor ihrer Anhörung zu einem Integrationskurs zugelassen werden.

Anmar stammt aus Syrien. In seiner Aufenthaltsgestattung ist beim Punkt „Herkunft“ allerdings „ungeklärt“ vermerkt: Anmars syrischer Pass lagert irgendwo bei einer Behörde in Norddeutschland; weder Anmar noch die Berliner Behörden wissen derzeit, wo. Berlin schrieb dennoch einfach einmal „ungeklärt“ in die Aufenthaltsgestattung. Das hat negative Konsequenzen für Anmar. Beim Bundesamt für Migration (Bamf) stellte er deshalb beispielsweise erst gar keinen Antrag auf einen Platz in einem Integrationskurs: Ein Freund, dessen Herkunft bisher ebenfalls als „ungeklärt“ gilt, hatte vom Bamf bereits eine Absage erhalten. Von der Möglichkeit, auch bei der örtlichen Ausländerbehörde um die Teilnahme an einem Integrationskurs ansuchen zu können, wussten beide bis vor kurzem nichts. Sämtliche Sprachschulen, bei denen er sich erkundigte, erteilten stets eine Absage – erst, wenn der Aufenthaltsstatus geklärt sei, könne man sich beim Bamf um das Okay bemühen.

Die vielen Anforderungen, aber auch Angebote und Möglichkeiten in Deutschland glichen oft einem Dschungel, sagt Job-Beraterin Malas. Man müsse sich durchaus durchboxen. Mitunter hilft einfach der Zufall – die eine wichtige Information, die der Betroffene bekommt.

Ali beispielsweise erfuhr von einer Betreuerin in seiner Flüchtlingsunterkunft von der Möglichkeit, ein Praktikum zu absolvieren. Das findet er „cool“. Monatelang hatte er zuvor gefragt, warum er keinen professionellen Integrationskurs besuchen dürfe. Während seines Praktikums lernt Ali Deutsch und schnuppert in den Arbeitsalltag eines Kochs. Hier bekommt er auch vermittelt, was das Wort „Ausbildung“ in Deutschland bedeutet.

„Unter den Flüchtlingen gibt es viele handwerklich geschickte Leute“, sagt Job-Beraterin Malas und berichtet von einem jungen Mann, der in Afghanistan drei Autowerkstätten leitete. „Menschen wie dieser Mann sind learning by doing gewöhnt: Man arbeitete beim Vater und lernte von ihm.“ Der Mann wolle auch in Deutschland arbeiten und zeigen, was er könne. Die Teilnahme am klassischen Sprachkurs falle ihm dagegen schwer. Malas vom „Job Point“ und Flüchtlingsberater Nader Khalil vom „Deutsch Arabischen Zentrum“ in Berlin treten deshalb dafür ein, Arbeitswelt und Sprachkurse für Flüchtlinge stärker zu verzahnen. „Praktische Arbeit und parallel ein Deutschkurs würde jenen helfen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, sich aber mit theoretischem Lernen schwertun“, sagt Khalil.

Auch wäre ein bisschen weniger Bürokratie für alle Seiten hilfreich, meint Malas. Doch selbst wenn es manchmal chaotisch zugehe, man bekomme Unterstützung. Deutschland sei „top“. „Die Geflüchteten sollten sich einfach sagen: Ich habe es bis hierher geschafft, den Krieg und die Flucht überstanden. Alles andere ist im Vergleich dazu ein Kinderspiel.“

Erschienen in: Wiener Zeitung

09/2016

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