Wer Fluchtursachen bekämpfen will, kommt am Thema Klimaschutz nicht vorbei: Daran erinnert der wissenschaftliche Direktor des Ludwig Boltzmann Instituts für Menschenrechte in Wien, Michael Lysander Fremuth, im Interview mit der APA vor dem Hintergrund der laufenden UNO-Klimakonferenz sowie dem kommenden Tag der Menschenrechte am 10. Dezember. „Der Klimawandel könnte eine der Hauptursachen für Flucht werden“, so Fremuth.
Demnach macht der Klimawandel deutlich, was Universalität der Menschenrechte bedeutet, also die Idee, dass die Menschenrechte weltweit für alle gelten. „Es kann uns nicht egal sein, wenn Menschen ihre Heimat verlieren“, sagt Fremuth. Das müsse nicht unbedingt ein selbstloser, moralischer Ansatz sein. „Wir sollten ein originäres Eigeninteresse an der Bekämpfung des Klimawandels haben“, sagt Fremuth weiter. Was in anderen Regionen der Welt passiere – wie Dürre und Überschwemmungen – wirke sich auf uns in Österreich aus. Fremuth verweist in diesem Zusammenhang auf eine Schätzung der Weltbank, wonach bis 2050 etwa 140 Millionen Menschen aufgrund des Klimawandels auf der Flucht sein könnten.
Noch gelte der völkerrechtliche Schutz nicht für Klimaflüchtende. Doch schon jetzt spiele der Klimawandel in der Rechtssprechung beim Thema Flucht eine Rolle. Internationaler Schutz wird allgemein in zwei Formen gewährt: Wer aus politischen oder religiösen Gründen oder aus Gründen der Nationalität oder der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe verfolgt wird, kann um Asyl ansuchen. Wird der Asylantrag abgelehnt, ist das Leben oder die Gesundheit im Herkunftsland aber bedroht, etwa aufgrund von Krieg oder unmenschlicher Behandlung, kann sogenannter subsidiärer Schutz gewährt werden. Fremuth beruft sich auf eine Untersuchung seines Instituts, wonach beispielsweise das österreichische Bundesverwaltungsgericht „in einer Vielzahl von Fällen klimawandelbedingt Flucht“ miteinbezogen und Betroffenen etwa subsidiären Schutz zugesprochen habe. „Ihnen drohten unmenschliche Bedingungen im Herkunftsland.“
Auch der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen habe in mehreren Verfahren festgestellt, dass es eine menschenrechtliche Pflicht der Staaten geben könne, Klimaflüchtlinge nicht wieder außer Landes zu schicken, sagt Fremuth. Auch könne man in mehreren Ländern Klimaschutz mit dem Verweis auf die Grund- und Menschenrechte einklagen. „In den Niederlanden sind die Gerichte hier sehr weit gegangen, es wurden konkrete Reduktionsvorgaben für den Gesetzgeber gemacht“, sagt Fremuth. Auch in Deutschland habe das Bundesverfassungsgericht bestätigt, dass man gegen den Gesetzgeber vorgehen könne, um ihn zu weiteren Klimaschutzmaßnahmen zu bewegen. „Noch verletzt der deutsche Staat demnach nicht die Grundrechte in Bezug auf den Klimaschutz. Das Bundesverfassungsgericht hat aber beispielsweise festgestellt, dass es zugunsten künftiger Generationen eine objektiv rechtliche Pflicht gibt, Klimaschutz und Klimaneutralität herzustellen.“
In Österreich seien diesbezügliche Klagen indes überwiegend als unzulässig bewertet. Im Unterschied zum deutschen Verfassungsgericht kann der österreichische VfGH nur Gesetze aufheben, „dem Gesetzgeber aber nicht vorschreiben, was er machen muss“. Für Fremuth steht fest, dass es „an der Politik liegt, einen Fahrplan zu entwickeln, der ausweist, warum man Klimawandel als eine der großen Krisen bekämpfen muss, welchen Mehrwert das für alle schafft“. Österreich emittiere etwa jährlich 8,7 Tonnen CO2 pro Kopf, einer der höchsten Werte weltweit.
Im Kampf gegen den Klimawandel brauche es, meint Fremuth, „zwingend beides, die großen, politischen Weichenstellungen und die individuelle Verantwortlichkeit“. Individuelle Entscheidungen bei Wahlen und beim Einkauf – wie ein verringerter Kauf von Fast Fashion oder der Verzicht hin und wieder auf das Schnitzel – „verdichten sich zu gesamtgesellschaftlichen Entscheidungen mit Auswirkungen auf den Klimawandel“.
Gefragt zum Thema Generationengerechtigkeit, sagt Fremuth, dass „auch junge Generationen einen Lebensstil pflegen wollen, der in erheblichem Maße CO2 emittieren wird“. Den Klimawandel schaffe man seiner Ansicht nach also „nur über den technologischen Fortschritt“. Die Frage werde sein, „was ist am wenigsten problematisch. Denn alles, was wir tun, ist in irgendeiner Form problematisch“. Für E-Autos etwa brauche man seltene Erden. „Die Aufgabe wird also darin bestehen, so wenig invasiv wie möglich zu sein.“
Erschienen in: APA 12-2023