Pianist aus Jarmuk/Damaskus: „Ich kämpfe mit Musik“

Die „New York Times“ hat über ihn berichtet, er spielte vor Angela Merkel und Joachim Gauck, trifft Daniel Barenboim und und wurde tausende Male auf Youtube angeklickt: Der Pianist Aeham Ahmad ist berühmt. Doch anstatt stolz zu lächeln, sagt Ahmad ruhig: „Ich bin ein Flüchtling – nicht ,berühmt’. Es geht nicht um mich.“

Ahmad will mit seiner Musik die Welt besser machen. In Deutschland tritt er heute auf, um – wie er sagt – Menschen zu erreichen, damit sich politisch etwas ändert und der Krieg in Syrien endet. Noch vor wenigen Monaten hat er gespielt, um Menschen Hoffnung zu geben und sie vom Krieg abzulenken.

Die Youtube-Videos zeigen völlig zerstörte Häuser in Damaskus. Die Straßen sind gesäumt von Ruinen. Überall liegen Schutt und Trümmer der zerbombten Gebäude. Mitten auf der Straße spielt ein junger Mann Klavier und singt dazu. Auf einem der Videos sieht man Kinder, wie sie um Ahmad herumstehen und begeistert mitsingen.

Aeham Ahmad ist 1988 in Jarmuk als palästinensischer Flüchtling geboren. Der Stadtteil Jarmuk liegt im Süden von Damaskus, entstanden aus einem der größten palästinensischen Flüchtlingslagern der Welt. Ahmad erinnert sich gern an das Leben in Jarmuk vor dem Krieg, an den Basar mit seinen Gewürzen, daran, dass „alle gut zusammengelebt“ hätten, egal welcher Religion die Menschen angehörten. Aber er sagt auch: „Wir sind Flüchtlinge. Wir gehören nirgendwo hin.“ In seinem syrischen Ausweis stehe: „befristete Aufenthaltserlaubnis für Palästinenser“.

Ahmads Großvater emigrierte 1948 aus Palästina. Vom Vater hat Ahmad die Liebe zur Musik. Der blinde Mann spielt selbst Geige, in der eigenen Werkstatt baute er Musikinstrumente. Ahmad besuchte eine Musikschule und studierte an der Baath-Universität in Homs Musikpädagogik. Für den Abschluss fehlte nicht mehr viel, doch im Krieg konnte er das Studium nicht mehr beenden.

Das Leben wurde immer schwerer. Ahmad aber wollte seine Heimat nicht verlassen, sondern etwas tun. Er organisierte einen Karren und hievte sein Klavier darauf. Dann schob er es auf die Straßen von Jarmuk. „Das war das Beste in dieser Zeit“, sagt ein syrischer Freund Ahmads während er in Berlin auf den Kanal in Kreuzberg schaut.

Schon kurz nach dem Beginn der Revolution verschlechterte sich das Leben in Jarmuk. Der Stadtteil geriet zwischen die Fronten unterschiedlicher Gruppen. Die Lage wurde immer schlimmer. Dann kam im Frühjahr 2015 der selbst ernannte Islamische Staat. Von den einst etwa 200.000 Bewohnern von Jarmuk leben nicht mehr viele hier – sie sind geflohen oder tot.

„Die Menschen sind verhungert. Ich habe Katzen gegessen“, sagt Ahmad. „Mit Musik habe ich gekämpft, um etwas innen drinnen zu verändern.“ Für die einen kam das gerade richtig – für andere nicht. „Man kann das in den Videos nicht hören, es wurde herausgeschnitten, aber immer wieder hat jemand gerufen: ,Hör auf zu spielen, die Menschen sterben!’ Musik ist in meinem Land etwas für glückliche Stunden“, sagt Ahmad, der heute in Wiesbaden lebt, bei einem seiner Berlin-Besuche.

Am 17. April 2015, an einem Freitag, schob Ahmad sein Klavier von Jarmuk in den Stadtteil Jalda, begleitet von seinem Vater. IS-Anhänger in ihrer schwarzen Kleidung seien auf sie zugekommen. „Weißt du nicht, dass Musik verboten ist?“, riefen sie, erinnert sich Ahmad. „Wem gehört das Klavier?“ – „Mir“, antwortete der Vater. „Zu einem alten Mann darf man barmherzig sein. Mich hätten sie gleich erschossen“, erklärt Ahmad die Schwindelei seines Vaters. Der IS-Mann verschonte die zwei. Stattdessen schüttete er Benzin über das Klavier und zündete es an. „Ich habe geweint.“

Ahmad zog nun erstmals ernsthaft in Erwägung, zu fliehen. Beharrlich sprach die Mutter auf ihn ein: Sie habe Geld gespart, er solle Syrien verlassen. Anfang August vor einem Jahr begann schließlich Ahmads Flucht.

Allein um als Palästinenser zunächst aus Syrien herauszukommen, musste Ahmad eine Menge Geld bezahlen. Zwei, drei Tage hatte er fast kein Wasser und das wenige, erinnert sich Ahmad, teilte er mit drei weiteren Männern. Es ging über die türkischen Berge nach Izmir. Ahmad schlief auf der Straße, für ein Bett fehlte ihm das Geld.

Das erste Boot aus der Türkei sank. Den zweiten Versuch sollte Ahmad filmen: Reporter der BBC hätten ihm eine Kamera gereicht. „Wasserfest“, sagt er im Pressegespräch in Berlin zu den Journalisten und lacht verschmitzt. Uns bleibt das Lachen im Hals stecken. „Ich habe den BBC-Reportern gesagt, kommt mit, wir sterben zusammen. Aber sie wollten nicht.“

Von Griechenland ging es durch Mazedonien, Serbien, Kroatien und Ungarn. Am 23. September erreichte Ahmad Deutschland. Hier erhält er drei Monate später den Beethovenpreis für Menschenrechte – eine wichtige Geste, wie er sagt, habe dieser Preis seinem Anliegen doch mehr Aufmerksamkeit verschafft: „Es ist Krieg und die Menschen töten einander. Wir haben ein großes Problem. Aber woher kommt dieses Problem?“, sagt Ahmad und nennt die USA, den Iran, Russland, die EU und Israel. Sie alle hätten eine Mitverantwortung an dem Krieg. „George Bush sagte: Wir werden einen neuen Nahen Osten bauen. Und er hat es gemacht.“

Privat ging für Ahmad indes bereits ein großer Wunsch in Erfüllung: Nach einem Jahr schloss er in Süddeutschland seine Frau und seine beiden kleinen Söhne wieder in die Arme. Von Beirut via Istanbul sind sie vor kurzem in Frankfurt gelandet.

Erschienen in: Wiener Zeitung und OÖN

08/2016

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