Die Europäische Menschenrechtskonvention gilt für alle

„Auch die Menschenrechtskonvention gehört überarbeitet“, fordert ÖVP-Klubchef August Wöginger im Zusammenhang mit dem Asylrecht in einem Gespräch mit dem „Standard“ (Samstag) und lässt dabei offen, worauf er sich damit bezieht. Aber was genau steht in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK)? Und was hat sie mit dem Thema Asyl zu tun?

Zunächst gilt die EMRK für alle Menschen, somit auch für Geflüchtete. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg überwacht die Einhaltung der am 4. November 1950 unterzeichneten Konvention. Österreich ist ihr 1958 beigetreten. Es handelt sich um einen völkerrechtlichen Vertrag zwischen den Mitgliedern des Europarats. Auch die Rechte der Europäischen Grundrechtecharta der EU beruhen auf der EMRK.

In Österreich hat die EMRK Verfassungsrang. Das heißt: Für eine Änderung müsste mindestens die Hälfte der Abgeordneten zum Nationalrat bei der Abstimmung anwesend sein; zwei Drittel von ihnen müssten für eine Änderung stimmen. Für die österreichischen Gerichte und Verwaltungsbehörden stellen die Rechte der EMRK unmittelbar anwendbares Verfassungsrecht dar und können vor diesen und schließlich auch vor dem Verfassungsgerichtshof durchgesetzt werden.

Das Wort „Asyl“ findet sich nicht in der EMRK – „das Thema ist aber sehr relevant“, sagt Peter von Auer, Jurist bei der Menschenrechtsorganisation „Pro Asyl“, und nennt im Telefonat mit der APA den Artikel 3 der EMRK: „Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden.“ Ein Beispiel: In einem Urteil im Jahr 2011 bezog sich der EGMR auf einen Mann aus Afghanistan, der monatelang in Griechenland in extremer Armut gelebt hatte. Der Mann zog nach Belgien und wurde von den dortigen Behörden in das südeuropäische Land zurückgeschickt. Allerdings: Seine Überstellung nach Griechenland verstieß laut EGMR gegen Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Ändere man den Artikel 3 der EMRK, schaffe man entweder das Prinzip der Gleichheit der Menschen ab oder es seien in Folge auch die eigenen Staatsangehörigen nicht mehr vor Folter geschützt, sagt Lukas Gahleitner, Asylrechtsexperte der Asylkoordination Österreich, zur APA und nennt zudem den auch für Geflüchteten relevanten Artikel 6 (Recht auf ein faires Verfahren).

Artikel 8 (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) der EMRK enthält laut der Judikatur des Menschenrechtsgerichtshofs wiederum eine von den Umständen des Einzelfalles abhängige Verpflichtung der Staaten, den Ehegatten von bereits im Land niedergelassenen Ausländern im Rahmen der Familienzusammenführung eine Aufenthaltsberechtigung einzuräumen. Daraus kann sich auch ein Abschiebeverbot ergeben.

Die Menschenrechtskonvention wurde 1950 von den damaligen Europarats-Mitgliedern in Rom unterzeichnet und 1953 von den ersten zehn Staaten ratifiziert. Mittlerweile erstreckt sich ihre Gültigkeit auf über 46 Unterzeichnerstaaten – inklusive der 27 EU-Staaten – und ist Grundbedingung für die Mitgliedschaft im Europarat. Russland wurde wegen des Angriffskriegs auf die Ukraine aus dem Europarat ausgeschlossen, blieb aber bis zum 16. September Vertragspartei der Europäischen Menschenrechtskonvention. Seit ihrem Inkrafttreten wurde die EMRK durch eine Reihe von Protokollen geändert und ergänzt, wie etwa durch das Verbot der Todesstrafe.

Ziel der Menschenrechtskonvention war es, die in der „Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte“ der Vereinten Nationen von 1948 zwar verbrieften, aber aufgrund der globalen Verwerfungen des Kalten Krieges nicht verbindlich durchsetzbaren Grund- und Freiheitsrechte für Europa zu genau solchen zu machen. Sie entspricht folglich inhaltlich weitgehend den bürgerlichen und politischen Rechten, wie sie in der UNO-Menschenrechtserklärung festgelegt sind und sieht eine Reihe von Grundrechten und -freiheiten vor, darunter Recht auf Leben, Verbot von Folter, Sklaverei und Zwangsarbeit, Recht auf Freiheit und Sicherheit, Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit, freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und Verbot der Diskriminierung.

Im Gegensatz zum UNO-Mechanismus gibt es in der EMRK allerdings ein wirksames Rechtsschutzverfahren mit drei internationalen Organen, die sich diese Aufgabe teilen: Die Europäische Kommission für Menschenrechte (1954 errichtet), der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (1959) und das Ministerkomitee des Europarates, das sich aus den Außenministern der Mitgliedstaaten oder deren Stellvertretern zusammensetzt.

Die „Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“, wie sie korrekt heißt, wurde im Rahmen des Europarats erarbeitet. Anlässlich ihres 50-Jahr-Jubiläums nannte sie der damalige Präsident des Europäischen Gerichtshofs, der Schweizer Luzius Wildhaber, im Jahr 1993 „die größte Errungenschaft des Europarates“. Auch zu Fragen über die Praktikabilität oder „Auslegung“ der Menschenrechtskonvention hatte Wildhaber damals etwas zu sagen: Er meinte, ihre „Genialität“ bestehe darin, dass sie ihre Anpassungsfähigkeit an die Veränderungen in Gesellschaft und Technologie bewiesen habe. Deshalb habe sie auch nichts von ihrer ursprünglichen Bedeutung eingebüßt.

11-2022, APA

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