Judith Kohlenberger: Asylverfahren in Ruanda für Österreich unwahrscheinlich

Nehammer fordert Auslagerung in Staaten außerhalb der EU

Als „verschwindend gering“ beurteilt die Migrationsforscherin Judith Kohlenberger die Aussichten für Österreich, Asylverfahren nach Ruanda auszulagern, wie es Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) fordert. Im Interview mit der „Welt am Sonntag“ hatte Nehammer erklärt, Österreich werde „mit aller Kraft in der EU dafür eintreten“, dass Asylverfahren außerhalb der EU durchgeführt werden. Entsprechende Abkommen mit Drittstaaten seien möglich, wie etwa Ruanda zeige.

Eine Vereinbarung mit Ruanda habe bereits Dänemark getroffen, so der Kanzler. Kohlenberger stellte allerdings gegenüber der APA klar, dass Dänemark entsprechende Pläne „bereits Anfang des Jahres aufgrund mangelnder Durchführbarkeit auf Eis gelegt“ habe. Und die Migrationsforscherin erinnerte an Großbritannien: Dort hatte das Londoner Höchstgericht Ende Juni die Pläne der konservativen Regierung für rechtswidrig erklärt, Asylbewerberinnen und Asylbewerber nach Ruanda abzuschieben. „Die Aussichten, dass ausgerechnet ein kleines, noch dazu neutrales Land wie Österreich ein solches Abkommen schließen und durchführen kann, halte ich deshalb für verschwindend gering – noch dazu, weil für EU-Mitgliedsstaaten noch einmal strengere Asylregeln als für Großbritannien gelten“, so Kohlenberger zur APA.

Anders als der Kanzler bewertet Kohlenberger auch die im EU-Asylkompromiss vorgesehenen Schnellverfahren. Während die Migrationsforscherin ganze Familien davon ausnehmen würde, will Nehammer auch keine Frauen und Kinder ausklammern, wie es Deutschland vorschlägt. Eine solche Ausnahmeregelung, so Nehammer, wäre „praktisch eine Einladung für Frauen mit Kindern, die illegale Migration nach Europa zu wagen – und im Falle einer Schutzgewährung, die gesamte Familie nachzuholen“. Auch würden Frauen und Kinder „verstärkt skrupellosen Schleppern hilflos ausgeliefert“. Dazu Kohlenberger: „Wer sich für den Schutz von Frauen und Kinder einsetzen und verhindern möchte, dass sie skrupellosen Schleppern hilflos ausgeliefert‘ sind, könnte humanitäre Aufnahmeprogramme für genau diese demografische Gruppe schaffen. Dafür braucht es keine europäische Regelung, das kann Österreich im Alleingang tun – und hat es bis 2017 sogar im kleinen Ausmaß getan, nämlich in Form der Humanitären Aufnahmeprogramme HAP I bis III.“

„Die legale Migration“ müsse in Zusammenarbeit mit dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) und der Internationalen Organisation für Migration ausgebaut werden, so Nehammer im Interview mit der „Welt am Sonntag“. Laut Kohlenberger könnte Österreich aber „sofort und ohne Zu- bzw. Abstimmung mit der EU humanitäre Aufnahmeprogramme („Resettlement“) schaffen, um Menschen aus Krisenregionen legal und sicher ins Land zu holen. Auch andere Instrumente wie Botschaftsasyl könnte man wieder aktivieren.“ All das sei machbar, aber eine Frage des politischen Willens, so Kohlenberger. „An der Zustimmung des UNHCR scheitert es sicherlich nicht.“

Auch beim Thema Arbeitsmigration sieht Kohlenberger Aufholbedarf seitens der Regierung: Man überlasse es bisher privaten Initiativen, Arbeitskräfte legal ins Land zu holen. Einzelne Pflegeheimbetreiber würden beispielsweise in Uganda und Kolumbien Personal anwerben, manche Bundesländer hätten Pilot-Programme gestartet. „Statt einer koordinierten, nationalen Strategie tut sich ein zunehmend unüberschaubarer Fleckerlteppich auf“, so Kohlenberger. „Und das, obwohl laut Regierungsprogramm eine gesamtstaatliche Migrationsstrategie‘ vorgesehen ist.“

Zu den von Nehammer hervorgehobenen, in Österreich zurückgegangenen Asylanträgen sagte Kohlenberger, dass Entwicklungen bei Antragszahlen „komplex“ seien. Politische Maßnahmen seien „immer nur ein Faktor“, vor allem das Ende der visafreien Einreise für Tunesier und Inder nach Serbien nennt Kohlenberger hier. Gleichzeitig sehe man aber mehr Anträge aus Syrien und der Türkei, was auf die dortige unsichere Lage für Geflüchtete und für politische Oppositionelle zurückzuführen sei.

Ein großer Faktor im Hintergrund ist laut Kohlenberger „die Verlagerung von Fluchtrouten aufgrund systemischer Grenzgewalt an der Peripherie Europas“. Da der Landweg nach Griechenland und über die Balkanroute immer schwieriger zu passieren sei, verlagerten sich Fluchtwege auf den Seeweg. Dort nähmen Überfahrten von der türkischen Küste nach Italien, vor allem auf die Insel Lampedusa, zu. Aber auch in Kroatien und Slowenien entlang der Küstenroute seien die Ankunftszahlen gestiegen. „Und nicht vergessen darf man, dass ein nicht unerheblicher Anteil der Asylwerber in Deutschland durch Österreich gekommen ist und dort weitergewinkt wurde“, sagte Kohlenberger.

APA/2023-09-05

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