ICMPD-Klage gegen SOS Balkanroute: Bezeichnung „Guantanamo“ nicht falsch

Im Fall um die Klage gegen die NGO SOS Balkanroute und deren Gründer Petar Rosandić liegt nun die schriftliche Urteilsausfertigung des Wiener Handelsgerichts vor. Das in Wien ansässige Internationale Zentrum für Migrationspolitik (ICMPD) hatte wegen des Vorwurfs, ein „österreichisches Guantanamo“ zu errichten, geklagt und der NGO vorgeworfen, sie rücke das ICMPD in einen Zusammenhang mit Pushbacks an der kroatischen Grenze und mit rechtsgrundlosen Inhaftierungen.

Das Handelsgericht hatte die Klage bereits in der Verhandlung Mitte Juli abgewiesen. Konkret geht es um einen Bau innerhalb des bosnischen Flüchtlingslagers Lipa, den das ICMPD errichtete. Diese Internierungsanstalt hatte Rosandić als „österreichisches Guantánamo “ bezeichnet. Im Urteil heißt es nun, dass „ein unbefangener Empfänger die Äußerungen und Informationen des Beklagten“ so verstehe, dass das ICMPD „mit maßgeblicher Beteiligung Österreichs“ eine Gefängniseinheit errichtet habe, die kroatische Polizei „auch auf Druck Österreichs rechtswidrige Pushbacks unter Einsatz von massiver Gewalt“ verübe und Österreich „die Etablierung der Balkanstaaten als Pufferzone“ forciere. Hier würden mit dem ICMPD als Projektpartnerin ein Rückführungszentrum gebaut und die Westbalkanländer bei Abschiebungen unterstützt.

„Es gibt jedoch nicht den geringsten Anhaltspunkt eines Vorwurfs, die Klägerin oder sonst wer betreibe Folter“, schreibt Richter Andreas Pablik. Die Klägerin werde von den Beklagten immer nur im Zusammenhang mit dem Bau der Haftanstalt genannt, „nie aber bei den Vorwürfen der gewalttätigen Pushbacks, die eindeutig der kroatischen Polizei zugeordnet werden (samt Unterstützung durch die EU und Österreich)“.

Den Begriff „Guantánamo“ habe Rosandić „als Synonym für einen aus seiner Sicht rechtsfreien Raum im Bereich des Migrationswesens an den EU-Außengrenzen“ genutzt, „wo rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden“. Die Behauptung sei nicht falsch, weil das ICMPD den Hafttrakt, der ausreichende Parallelen im Sinne der Äußerung der Beklagten zu einem mit Guantanamo assoziierten Gefängnis aufweise, ja tatsächlich gebaut habe. Es sei eindeutig, dass es um mögliche befürchtete Missstände gehe, die verhindert werden sollen, bevor sie passierten.

Das ICMPD werde erwähnt als eine vom österreichischen Innenministerium geförderte Organisation. „Es gehe nicht an, dass durch die Zwischenschaltung einer Organisation das Handeln der EU und von Mitgliedsstaaten dem notwendigen Scheinwerferlicht der Öffentlichkeit entzogen werden könnte“, schreibt Richter Pablik.

Leiter des ICMPD ist der frühere Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP). Ihm zufolge hat die Organisation von der EU-Kommission den Auftrag erhalten, eine geschlossene Einrichtung innerhalb des Lagers zu errichten, um mutmaßlich gefährliche Personen zum Schutz anderer Bewohnerinnen und Bewohner für eine gewisse Zeit zu isolieren. Die Gelder für den Bau – 500.000 Euro – stammten ausschließlich von der EU. Der zuständige EU-Kommissar, der Ungar Olivér Várhelyi, hatte allerdings im vergangenen November von einem „Pilotprojekt für das Lager Lipa“ gesprochen, „falsche Asylbewerber“ müssten „so lange festgehalten werden, bis sie in ihre Herkunftsländer zurückkehren“.

In der Verhandlung im Juli hatte ICMPD-Anwältin Ulrike Zeller über das Wort „Guantanamo“ in Aussendungen und Tweets erklärt, „dieses eine Wording war zu viel“. Man könne ja weiter kritisieren, „aber anders“. Die Anwältin der NGO, Maria Windhager, machte dagegen die „Meinungsäußerungsfreiheit“ geltend und sah eine sogenannte SLAPP-Klage „wegen unliebsamer Kritik“. SLAPP steht im Englischen für „Strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung“. Insbesondere durch die zweite Klage gegen Rosandić persönlich sollten „die Beklagten offensichtlich eingeschüchtert werden“.

Die „Einschüchterungsversuche“ hätten nicht funktioniert, schreibt die Sprecherin der Grünen für Außenpolitik und Menschenrechte, Ewa Ernst-Dziedzic, am Dienstag in einer Aussendung. „Der augenscheinliche Versuch, die durchaus berechtigte Kritik einer österreichischen NGO zu den Zuständen an den EU-Außengrenzen mit rechtlichen Mitteln zum Schweigen zu bringen, ist gescheitert.“ Das schriftliche Urteil des Wiener Handelsgerichts wertet Ernst-Dziedzic „als starkes Signal über den Einzelfall hinaus“. An ICMPD-Generaldirektor Spindelegger appelliert die Nationalratsabgeordnete, „sich mit der Kritik des Gerichts ernsthaft inhaltlich auseinanderzusetzen“.

Rosandić nennt das schriftliche Urteil eine „Watsche für ICMPD“. In einer Aussendung schreibt der NGO-Gründer: „Auch wenn der Prozess unseren Verein und mich an den Rand der Existenz brachte, hat er nun dazu beigetragen, eine breite Öffentlichkeit für die menschenfeindliche und illegale Politik an den EU-Außengrenzen zu schaffen.“

APA/2023-07-11

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