Jakob Augstein: „Wir müssten die linke FAZ werden“

Herr Augstein, der Freitag ist eine linke Wochenzeitung. Was verstehen Sie unter links?

Jakob Augstein: Der Begriff ist ohnehin schon beschwert durch die Geschichte und jetzt für mich noch schwieriger zu gebrauchen wegen der Linkspartei. Ich will nicht bei der Linkspartei landen. Als Hilfsausdruck nimmt man dann „linksliberal“, das soll dann heißen, „nicht Linke/PDS“ oder so. Ich berufe mich deshalb gern auf Günter Gaus, den Gründungsherausgeber des Freitag: Links sein ist skeptisch sein, Sachen in Frage stellen, die andere für beantwortet halten, die gesellschaftliche Frage in den Mittelpunkt stellen und gleichzeitig wissen, dass diese nie auf Dauer beantwortet werden kann.

Und eine linke Zeitschrift? Zu einem Text über Sie und den Freitag schrieb ein Leser in einem Forum, der Freitag werde ein „Mainstream-Blatt“, er habe gehört, Sie suchten noch einen „konservativen Schreiberling“.

Habe ich gar nicht gesehen. Dem muss ich unbedingt antworten. Also, das darf auf keinen Fall passieren. Mainstream wäre für uns tödlich. Das ganze Projekt lebt davon, dass wir uns gegen diese Tendenz zur Mitte wenden, die es in der Gesellschaft gibt. Die politischen Parteien fischen in der Mitte, die Zeitungen fischen in der Mitte, weil sie da die großen Potenziale vermuten. Die Tendenz zur Mitte macht an den Rändern frei. Diese publizistische Nische, die die anderen Zeitungen aufgelassen haben, wollen wir füllen. Denn die Zeit war mal eine linksliberale Zeitung, der Spiegel war mal eine und die Süddeutsche – und sie sind es alle nicht mehr.

Wie stellen Sie sich das vor? Wie soll der Rand aussehen?

Als die Russen in Georgien einmarschiert sind, hatten alle Zeitungen eine einheitliche Meinung zu dem Thema. Erst nach ein paar Wochen fing diese Einheitshaltung der deutschen Presse an, aufzubröseln und plötzlich sah das alles nicht mehr so klar aus. Also, die Berichterstattung der deutschen Presse ist normiert – freiwillig. Das machen die von allein! Es zwingt sie ja niemand dazu. Das liegt aber daran, dass die alle immer auf die gleichen Konferenzen gehen, die werden alle von den gleichen Programmen und Stipendien gefördert. Es ist so eine Alternativlosigkeit in der Presse, eine Meinungsscheu und eine Variantenarmut, die ich überhaupt nicht verstehe.

Hans Magnus Enzensberger spricht von einer strukturellen Ähnlichkeit aller Medien, von immer gleichen Nichtigkeiten, weil sich jede Zeitung der Forderung nach Aktualität unterwerfe.

Es ist auch für uns das Risiko, dass wir uns in unserer Themensetzung zu stark an dem orientieren, was die anderen machen. Wir können uns das auf Zettel schreiben und aufhängen: „Lasst uns immer unseren eigenen Weg finden.“ Aber wir können gleichzeitig nicht einen Paralleldiskurs aufmachen. Wir müssen darauf achten, so viele Themen der anderen aufzugreifen, dass wir noch am gesellschaftlichen Diskurs teilnehmen. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, Themen zu machen, die die anderen eben nicht wahrnehmen. In der Frankfurter Allgemeinen Zeitung finden Sie immer Sachen, die völlig querliegen, die machen irre Sachen – und sind dabei konservativ. Wir müssten die linke FAZ werden.

Einstige Randthemen wie Klimawandel oder Bio-Lebensmittel sind mittlerweile auch im Mainstream angekommen.

Ja, ich glaube, dass das eine Stärke der offenen Gesellschaft ist, die abweichenden Positionen im Laufe der Zeit aufzusaugen und zu zentristischen Positionen zu machen. Aber ob das für die Position gelten kann, „wir sind im Zweifel auf der Seite der Schwachen“, das bezweifle ich. Ich glaube, wenn man die Herrschaftsstruktur in Frage stellt, dann bleibt man in der abweichenden Rolle.

Die will der Freitag ja künftig gemeinsam mit seinen Lesern ausfüllen – sozusagen Brechts Radiotheorie folgend, der Hörer als Lieferant und nicht nur Empfänger. Aber wo ist Schluss?

Es gibt keine Grenze. Die Idee ist ja, Qualitätsjournalismus mit Socialnetworking zu verbinden. Wenn Leser gut schreiben, dann werden sie bei uns befördert zum Publizisten. Wir öffnen dem Leser dabei die Möglichkeit, das zu machen, aber es ist nicht so, dass die Leser selbst die Redaktion der Zeitung übernehmen. Ich würde das auch für falsch halten, denn dafür muss man von Journalismus etwas verstehen.

Wie soll dieses Miteinander funktionieren?

Leser können sich als User anmelden. Dann können sie kommentieren. Wenn sie mehr machen wollen als das, müssen sie eine Profilseite ausfüllen, dann haben sie Bloggerstatus und Freiheiten wie bei einer Socialnetworking-Seite. Die Community bewertet ihre Texte untereinander. Wir glauben, dass dieser Mechanismus die guten Leute nach oben spült. Die werden wahrgenommen von den Moderatoren. Die leiten das weiter in die Redaktion, die entscheidet, wo der Text hinkommt. Wird er gedruckt, gibt es Zeilenhonorar.

Könnten da nicht zu viele Leser nur noch auf das Gratis-Angebot im Netz zugreifen?

Die Gefahr ist da, aber ich glaube, es gibt gar keinen anderen Weg, als sich ihr zu stellen. Denn wenn Zeitungen überleben sollen, dann muss es eine sinnvolle Verknüpfung geben zwischen Print und Netz. Trotz einiger guter Ansätze kenne in Deutschland kein einziges Printmedium, das es wirklich geschafft hat, eine sinnvolle Anknüpfung zwischen Print und Netz herzustellen. Bei allen Häusern ist es im Prinzip so, dass getrennte Wege beschritten werden. Wenn die Printerlöse wegbrechen, ist das aber ist auf Dauer einfach zu teuer. Im besten Fall wird es so sein, dass die Community die Zeitung dazukaufen will, um das komplette Paket nutzen zu können.

Linke Projekte haben eine Tendenz zur Selbstausbeutung. Wie wollen Sie das mit 20 Redakteuren machen?

Das geht. Ich glaube, dass sich viele gar nicht mehr vorstellen können, was man alles machen kann mit wenig Geld und wenig Leuten, wenn man nur Lust hat, es zu machen. Vor allem aber muss man sehr gut, sehr straff organisiert sein, alle technischen Möglichkeiten ausnutzen, klare Kommunikationsbahnen haben. Und wir haben den Guardian, von dem wir Texte beziehen. Die alte Redaktion des Freitag bestand aus acht Leuten – so haben die eine Wochenzeitung gemacht.

Und wie lange reicht das Geld?

Endlos reicht es nicht. Das sind jetzt Investitionen, die ich tätige, der Laden muss sich tragen und das Geld muss zurückkommen, ganz klar. Je früher, desto besser. Wir verdienen über Werbung im Netz, über Marketing, Kooperationen. Und ich hoffe, wir verdienen als Abozeitung, auch weil das zum Community-Charakter passt. Und Freitag-Reisen. Da setzen wir dann die Community in den Bus und fahren mit ihr irgendwo hin. Das wird ein Spaß!

Jakob Augstein, geb. 1967, hat im Frühling 2008 den „Freitag“ – eine Fusion nach der Wende aus „Volkszeitung“ (West) und „Sonntag“ (Ost) – gekauft.

Erschienen in: Falter und Berliner Zeitung

Datum: 02/2009

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