Knatter, düdel, bazong: Game over

Eine Reise in die eigene Kindheit bietet das Computerspielemuseum in Berlin, Kritik inklusive
Im ganzen Raum dudelt und knattert es, wie man es von Computerspielen kennt. Vor einem Bildschirm hat sich eine kleine Schlange gebildet: „Wer ist der Letzte?“, fragt ein Knirps, auf den Mann ganz vorn in der Reihe starrend. Der hat eine 3D-Brille auf und drückt auf ein paar Knöpfe: Ein Flugobjekt saust eine Rennstrecke entlang.

Im kürzlich eröffneten Computerspielemuseum in Berlin ist dieses ausgestellte Spiel aus dem Jahr 2010 eines der neuesten. Bei anderen wird man dagegen nostalgisch. „Ach, ein C64! Mit dem hab ich beim Nachbarn gespielt!“, ruft ein Enddreißiger. Und was? „Olympia. Man musste im richtigen Moment die Taste drücken, damit der Speer geworfen wird.“

„Das Spiel ist so notwendig für das menschliche Leben wie das Ausruhen“, wird Thomas von Aquin gleich am Anfang der Dauerausstellung zitiert. Ein Kind spielt, um sich an die Welt heranzutasten. Es lernt. Und die Großen? Sie spielen, um sich zu messen (im Museum vermittelt anhand einer griechischen Amphore, auf der Sportler zu sehen sind), sie lassen spielen – zum Beispiel in Filmen – oder spielen selbst, um zu vergessen, um die Seele zu reinigen, um eine neue Sicht der Dinge zu erfahren, um Spaß zu haben. Der Mensch, der Spieler. Ohne das Spiel, so der Historiker Johan Huizinga in seinem 1939 erschienenen „Homo ludens“, gäbe es weder Dichtung, noch Recht, noch Philosophie.

Ohne Spiel kein Fortschritt

Kulturphilosophische Fragen sind im Computerspielemuseum rasch abgehakt, aber immerhin: Man greift sie auf. Es geht nicht nur darum, Kindheitserinnerungen zu wecken oder die Entwicklung der Technik auszustellen. Freilich gibt es die aber auch zu sehen. Eine Zeittafel zeigt die alten und neuen Modelle der Rechner. Ohne die Möglichkeiten, die die Hardware bietet, wären die Spiele nicht möglich. Umgekehrt, darauf weisen die Ausstellungsmacher hin, haben Computerspiele einen wesentlichen Anteil daran, wie die Rechner weiterentwickelt werden. Sie sind die „treibende Kraft“ des permanenten Leistungszuwachses der Computertechnik im privaten Bereich.

Ausgestellt sind an der „Wall of Hardware“ der bereits erwähnte Commodore 64, der, 1982 vorgestellt, der meistverkaufte Rechner seines Typus ist. Mehr als 30 Millionen Mal soll der gern als „Brotkasten“ bezeichnete Computer weltweit erstanden worden sein. Gezeigt wird natürlich auch der 1984 auf den Markt gebrachte Macintosh von Apple, der erste massentaugliche Computer, bei dem keine kryptischen Befehle mehr getippt werden mussten. Gesteuert wurde per Maus.

Und dann sieht man in einem Eck plötzlich Thomas Gottschalk. Es muss Ende der 70er Jahre gewesen sein, zweifelsfrei an der Kleidung des Moderators und jener des Publikums zu erkennen. Gottschalk kündigt in dem gezeigten Fernsehausschnitt eine „neue Sendung des Südwestfunks“ an und erklärte: „Ich dürfte Ihnen auch neu sein. Mein Name ist Thomas Gottschalk.“ Der junge Gottschalk spielt sodann „Pong“ mit den Zuschauern, eine Art Tischtennis ohne Schläger, dafür mit der Stimme: Das Publikum der einen Seite ruft „Aaaaah!“ und wirft so – wenn es denn laut genug ist – den Ball auf dem Bildschirm auf die andere Seite. „Oooooh!“, antwortet die zweite Hälfte. Drollig aus heutiger Sicht – vor allem, wenn man das Spiel mit der ebenfalls ausgestellten „Painstation“ vergleicht. Auch hier läuft „Pong“. Das Spiel geht übrigens auf den heute 88-jährigen Ralph Baer zurück: 1972 hatte Baer mit der „Odyssey“ die erste marktreife Spielkonsole mit dem Ping-Pong-Spiel entwickelt.

Der Schmerz des Verlierens

Anstatt wie bei Gottschalk ein Musikstück zu gewinnen (zur Auswahl standen unter anderem Platten von Ringo Starr und Hot Chocolate), bekommt man bei der Painstation Schmerz zu spüren, wenn man verliert:

Stromstöße oder kleine Schläge von der in der Konsole eingebauten Peitsche winken. Das Spiel als Mutprobe. Seltsam? „Die Painstation war klasse“, hat jemand ins Gästebuch des Museums geschrieben, ein anderer schlicht euphorisch: „Painstation!!!!!“ Harmloser sind da die Automaten der 1970er und 1980er wie Space Invader II, der erstmals einen Highscore abspeichern konnte, oder Centipede, das erste von einer Frau entworfene Automatenspiel. Mit Laserstrahlen geht es gegen Hundertfüßler. Vor Spinnen, Flöhen und Skorpionen sollte man sich in Acht nehmen.

Doch wird nicht nur die Spiellust zum Thema gemacht. Das Museum lässt auch Spielsüchtige zu Wort kommen.

Und auch Vereinnahmungen der Politik sind dargestellt. Als die rechtsextreme französische Partei Front National 2007 in der virtuellen Welt „Second Life“ wie etliche Unternehmen und Organisationen eine Niederlassung errichten wollte, bekam sie es dort mit Demonstrationen zu tun: „Ban the FN“ war auf den Plakaten zu lesen. Zu sehen war Parteichef Jean-Marie Le Pen mit Hitler-Bart.

Oder die DDR: „Computerspiele besitzen objektiv Tendenzen, die Ideen und Werte des Sozialismus durch die Kinder über Spiel und Romantik aneignen zu lassen“, wird Forschungskollektivleiter Gerd Hutterer wiedergegeben.

Der 1969 geschaffene volkseigene Betrieb VEB Kombinat Robotron in Dresden produzierte den Großteil der DDR-Rechner. Über die Technik wollte man die Jugend gewinnen, anders als in der BRD. Die Bundesrepublik war zwar immer schon einer der größten Märkte für Computerspiele, doch produziert wurde hier kaum. Durchaus skeptisch war der Blick auf die spielende Jugend – und die umfassenden Jugendschutzbestimmungen Deutschlands gehen auch auf diese Skepsis zurück.

Gegen die „Killerspiele“

Dieser Argwohn flammt freilich immer wieder auf, zuletzt war er vor allem gegen „Killerspiele“ gerichtet. Dass Computerspiele aber nicht schlicht „Verblödung der Jugend“ sind, war Kurator Andreas Lange ein Anliegen zu zeigen. Computerspiele seien eine jener Ausdrucksformen, die sich in den letzten Jahren am schnellsten entwickelt hätten, sagt Lange.

Jahrelang sammelte er die dutzenden ausgestellten Spiele, Zeitschriften, Skizzen für Spielhelden und Datenträger, um ein vielschichtiges Bild dieser Ausdrucksform des Menschen zu liefern. Seit ihrer Ernennung im Jahr 2008 durch den Deutschen Kulturrat ist sie übrigens offiziell Teil der Kultur.

Computerspielemuseum mit Dauerausstellung: Evolution eines Mediums. Karl-Marx-Allee 93a, Berlin.

www.computerspielemuseum.de

Wiener Zeitung/02-2011

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