Bulgarien: „Es ist gar nicht möglich, korrupt zu sein“

Mit EU-Fähnchen und „Mafia“-Rufen wird seit zwei Monaten Tag für Tag vor dem Kanzleramt in Sofia gegen die bulgarische Regierung demonstriert – die „korrupteste“ von allen seit dem Fall des Eisernen Vorhangs, wie ihre Gegner sagen. Auf die Straße gehen Studenten, Professoren, Ingenieure, Bauarbeiter. Die Wahlbeteiligung vor drei Monaten war gering, die zweitplatzierte sozialistische BSP koaliert seither mit der Partei der bulgarischen Türken, unterstützt von der rechtsextremen Ataka.

Im Finanzministerium, unweit des Kanzleramts, ersucht der Pressesprecher zur Begrüßung, den Schreibblock mit den vorbereiteten Fragen seinem Chef auszuhändigen. Wie bitte? Nach kurzer Diskussion bittet Minister Petar Tschobanow in sein Büro, ohne die Notizen vorab gesehen zu haben. Der 37-Jährige, der sich selbst als Technokrat bezeichnet, war vor seinem Eintritt in die Regierung Dozent für internationales Finanzwesen an der Wirtschaftsuni in Sofia sowie 2009 bis 2010 Vorsitzender der Finanzmarktaufsichtsbehörde.

Herr Tschobanow, Sie gehören einer Regierung an, die seit drei Monaten im Amt ist – und gegen die seit gut zwei Monaten wütend demonstriert wird. Was machen Sie falsch?

Petar Tschobanow: Ich sehe es eher so, dass die Demonstrationen die Disziplin der Regierung verbessern. Wir wissen, dass wir gerade jetzt transparent agieren und unsere Vorhaben und Maßnahmen gut erklären müssen. Wir müssen rasch Reformen durchführen, dann wird auch die Zustimmung zur Regierung steigen. Eigentlich ist es gar nicht so schlecht, mit sehr niedrigen Werten zu starten – und dann aufzuholen.

Rücktritt ist für Sie keine Option?

Nein. Es liegt in unserer Verantwortung, die Lage im Land zu verbessern. Bulgarien hat keine Zeit für weitere Wahlen in diesem Jahr.

Umfragen zeigen, dass viele Menschen weit mehr Vertrauen in die Institutionen der EU haben als in Ihre Regierung.
Das dürfte stimmen. Es ist natürlich positiv, wenn die Menschen der EU trauen. Ich glaube aber eben auch, dass das Vertrauen in uns steigen wird.

Viele Bulgaren halten Ihre Regierung für korrupt. Zu Recht?

In dieser angespannten Lage, in der die Wirtschaft nicht ordentlich funktioniert und das Land viele Probleme hat, ist es doch gar nicht möglich, korrupt zu sein. Es gibt schlicht kein Geld, das man in die eigene Tasche wirtschaften könnte. Und überdies sind wir auch nicht hier, um Profit zu machen. Unser Ziel ist es, die Einnahmen des Staates zu erhöhen, die Bekämpfung von Korruption ist eine der Prioritäten der Regierung.

Viele junge, gut ausgebildete Bulgaren verlassen ihr Land, weil sie hier keine Chance sehen. Die Zahlen dürften nächstes Jahr noch deutlich steigen, wenn der österreichische und der deutsche Arbeitsmarkt unbeschränkt für Bulgaren offen sind.

Die hohen Migrantenzahlen sind traurig. Wir müssen die Lebensbedingungen in Bulgarien verbessern. Wir sind eine technokratische Regierung und damit ein Beweis, dass sich Leute, die gut in ihrem Job sind, auch daheim in der Politik engagieren und hier für ihr Land arbeiten können.

Sie wollen Ihr Land in die Eurozone führen. Bis wann soll das geschehen?

Wir wissen, dass es eher eine politische Entscheidung ist, Bulgarien in die Eurozone aufzunehmen. Wir wissen aber auch, dass Bulgarien zuerst die wirtschaftliche Lage verbessern und sich um nachhaltiges Wachstum kümmern muss. Und auf der anderen Seite sind ja auch die Länder der Eurozone gerade dabei, Reformen wie die Bankenregulierung durchzuführen. Ein Datum, wann wir Mitglied der Eurozone sein werden, steht für mich nicht fest. Es wird in näherer Zukunft sein.

Erschienen in: Profil
Datum: 09/2013

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