Gerhard Mangott: Angriff auf den Kreml war wohl „demonstrativer Akt Kiews“

Der österreichische Russland-Experte Gerhard Mangott hält einen Angriff von ukrainischer Seite auf den Kreml in der Nacht auf Mittwoch für wahrscheinlich – wobei es wohl nicht darum gegangen sei, Präsident Wladimir Putin zu töten, so Mangott im Telefonat mit der APA. Der Politologe der Universität Innsbruck spricht von einem „demonstrativen Akt der Ukraine“. Putin sei selten im Kreml, schon gar nicht in der Nacht, das wisse Kiew.

„Wenn westliche Medien nun davon schreiben, dass es sich um ein Attentat auf Putin handelt, dient das der russischen Propaganda“, sagt Mangott. Mit dem Tod Putins wäre auch „nichts gewonnen, der Krieg würde fortgesetzt“.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj erklärte am Mittwochnachmittag: „Wir haben Putin nicht angegriffen, wir überlassen das dem Tribunal.“ Der Berater Selenskyjs, Mychailo Podoljak, hatte via Twitter zuvor von Guerilla-Aktivitäten lokaler – also russischer – Widerstandskräfte geschrieben: „Wie Sie wissen, kann man Drohnen in jedem Militärgeschäft kaufen…“

Doch laut Mangott fehlen „belastbare Belege“ für die Existenz solcher Gruppen, auch wenn es etwa viele ukrainische Gastarbeiter in Russland gebe. „Die These von einem russischen Partisanenakt halte ich nicht für glaubwürdig.“ Wenn es stimme, dass hinter Sabotageakten wie dem Entgleisen von Güterzügen in der westrussischen Region Brjansk Kiew stecke, dann stelle sich die Frage: „Warum sollte die Ukraine keinen Drohnenangriff auf den Kreml schaffen, technisch ist sie dazu in der Lage und ein Motiv hätte sie dafür.“

Bestätigen könne Kiew einen Drohnenangriff auf den Kreml nicht, da westliche Waffenlieferungen mit der Bedingung verknüpft seien, diese für die Verteidigung zu nutzen.

Für Russland könnte der behauptete Angriff jedenfalls eine Rechtfertigung für verschärfte Angriffe auf das Regierungsviertel in Kiew sein. „Doch Kiew verfügt über eine gute Luftabwehr“, so Mangott. Eine Rechtfertigung, um Zivilistinnen und Zivilisten zu töten, brauche Moskau nicht: „Das passiert ohnehin schon.“

Technisch sei Moskau in der Lage zu einer kompletten Inszenierung eines Angriffs, einer „False-Flag-Operation“ – das heißt, auch ein Fake-Video wäre möglich. Mit einem wie auch immer inszenierten Angriff könnte man der russischen Bevölkerung verdeutlichen, dass das Heimatland in Gefahr sei, dass Krieg drohe, so Mangott. „Doch nur, weil man technisch dazu in der Lage ist und ein Motiv hat, begründet das nicht immer eine Täterschaft“, sagt er. Russland würde damit nämlich auch zugeben, dass die Luftabwehr offenbar nicht sehr effektiv sei.

Erschienen in: APA 05/2023

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