„Das Bauhaus lebt!“

Ein ulkiges Ding, diese Kanne. Knallgelb, absurd groß und mit einem Deckel, dessen Griff aussieht wie der Kamm eines Gockels. Sie ist eines der 168 Objekte, die Architekt Walter Gropius sicherte, bevor er mit seiner Bauhaus-Schule 1925 von Weimar nach Dessau zog. Die Stadt hatte ihn vertrieben. Gropius verpackte die Stücke, übergab sie dem Direktor des Schlossmuseums – inventarisiert wurden die Gegenstände nie. So überlebten sie die NS-Zeit. 1955 entdeckte man die Kisten. Und heute stehen die meisten der Stücke in einer großen Vitrine im Bauhaus-Museum in Weimar, das an diesem Wochenende eröffnet.

Vor hundert Jahren unterschrieb Gropius den Vertrag in Weimar als Direktor der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für Bildende Kunst in Weimar. Er führte die Hochschule und die Kunstgewerbeschule zusammen und gab seiner neuen Wirkungsstätte den Namen „Bauhaus“: „Es gibt keinen Wesensunterschied zwischen dem Künstler und dem Handwerker“, heißt es in Gropius‘ Manifest von 1919.

Von Weimar aus über Dessau und Berlin ging der Name Bauhaus in die Welt. Doch sei es so nicht richtig, wenn das Bauhaus als „revolutionär, als gänzlich neu“ gelte, sagt Kuratorin Ulrike Bestgen. „Vieles ist von Henry van der Velde vorgedacht.“ Der Architekt war es, der Gropius als seinen Nachfolger vorschlug. Der Leiter der Klassik-Stiftung-Weimar, Wolfgang Holler, verweist auf Vorstellungen des Architekten Gottfried Semper. „Viele Ideen lebten im Bauhaus weiter.“ Zur Vorgeschichte gehört auch die „Arts- and Craft-Bewegung“, eine Antwort in England auf die Industrialisierung. Wie dann im Bauhaus wird auf klare, einfache Formen und Ästhetik gesetzt.

Den Bauhaus-Stil gibt es indes nicht. Das Bauhaus ist als Schule ein Teil der Moderne. Welche Antworten kann es – besonders vor dem Hintergrund des ersten Weltkriegs – auf die Industrialisierung geben? Es geht um die Lust am Experimentieren, am Diskutieren, am Fragen – etwa, wie der „Neue Mensch“, eine neue Gesellschaft gedacht und gestaltet werden soll, wie man in Gemeinschaft leben will. Scheitern wird als Teil des Prozesses gesehen.

Im Bauhaus entstand der Vorläufer der ersten deutschen Einbauküche. Zweckmäßig und schön sollte – damals noch Luxus – das Bad sein. Bekannte Vertreter der Schule sind Marianne Brandt mit ihrer halbkugeligen Teekanne und Wilhelm Wagenfeld mit seiner Tischlampe mit dem schlichten Schirm aus Opalglas. Auf der Bauhaus-Bühne erprobte man Farben, Formen und Licht. Die Choreographien sind heute unbekannt. Bei Kleidung und Haarschnitten entfernte man sich vom gängigen Erscheinungsbild.

Anfeindungen und Angriffe mehrten sich. „Vorsorglich“ kündigt die Landesregierung zum 31. März 1925 die Arbeitsverträge von Gropius und den Lehrern, den „Bauhaus-Meistern“. Der Schuletat wird halbiert. Gropius erklärt das Bauhaus in Weimar ab 1. April 1925 für aufgelöst. Wegen der politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse geschieht gleiches 1930 in Dessau und 1933 in Berlin.

Kommt man am Bahnhof von Weimar an, versteht man nach wenigen Metern: Weimar war nicht nur die Stadt der Kultur, die Stadt von Goethe, Schiller, Liszt und vielen anderen. Weimar war ein wesentlicher Ort der NS-Zeit. Übergroße Bilder alle paar Meter zum Zentrum hin zeugen davon. Zu sehen ist jeweils ein anderer Holocaust-Überlebender, darunter Petro Mischtuk aus der Ukraine, Alojzy Maciak aus Polen und Gilberto Salmoni aus Italien. Sie alle überlebten das wenige Kilometer von Weimar entfernte KZ Buchenwald.

In Weimar fand 1926 der erste Reichsparteitag NSDAP nach deren Neugründung statt. Hier wurde aus der „Großdeutschen Jugendbewegung“ die „HJ“. Zwischen 1936 und 1943 entstand im Zentrum Weimars eines der größten innerstädtischen Bauensembles des Nationalsozialismus, das einzige in weiten Teilen fertiggebaute „Gauforum“ Deutschlands. Beim Bau wurden KZ-Häftlinge eingesetzt.

In unmittelbarer Nähe öffnet nun das neue „Bauhaus-Museum“ als Teil des Konzepts „Quartier der Moderne in Weimar“: In den Südflügel des NS-Komplexes wird das „Museum Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ einziehen. Im 1869 eröffneten „Großherzoglichen Museum“, dem heutigen „Neues Museum“, wird ab sofort die Entwicklung der Moderne vor der Gründung des Bauhauses gezeigt – Schmankerl: sechs Totenmasken von Friedrich Nietzsche. Das neue Bauhaus-Museum – ein „wahnsinnig monolithischer Körper“, wie Architektin Heike Hanada sagt – geht thematisch an die Bauhaus-Bewegung heran. Es geht um Mensch und Gesellschaft, um das Experimentieren, die Werkstätten, die Theaterklassen. Im dritten Stock bietet ein Fenster den Blick auf das Mahnmal des KZs Buchenwald.

In das bisherige Bauhaus-Museum auf dem Theaterplatz soll das „Haus der Weimarer Republik“ ziehen. Direkt gegenüber, ebenfalls vor hundert Jahren, wurde im Deutschen Nationaltheater die erste demokratische Verfassung Deutschlands verabschiedet. Davor stehen Goethe und Schiller und blicken erhaben in die Welt. Von der linken Seite ziehen Studierende der Bauhaus-Uni heran. Es wird für eine Performance geprobt: „Das Bauhaus lebt!“, ruft der Chor.

Erschienen in: Wiener Zeitung/April 2019

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