Faires Handy: In der Warteschleife

Vor ein paar Jahren wollte Thomas Thwaites wissen, wie man einen Toaster macht. Der junge Mann – ein Designer aus England – kaufte ein Gerät, zerlegte es in seine hunderte Einzelteile und sah sich alles genau an. Dann rief er in einem Bergwerk an und fragte, ob er für einen selbstgebastelten Toaster ein bisschen Eisen kaufen könne. Die britische Grube war längst geschlossen und eigentlich nur noch als Freizeitattraktion zugänglich. Doch Thwaites kam mit einem Köfferchen Eisen zurück, ging in die Bibliothek, las, wie man daraus Stahl macht und begann zu werkeln. Bei BP wollte er dann etwas Öl bestellen für die Plastikhülle. Doch schnell war klar, dass BP nicht mitspielen würde und Thwaites eine Alternative finden musste für den Toaster, der am Ende fünf Sekunden lang funktionierte. Sämtliche Schritte bis dahin sind in seinem Buch „Ein heldenhafter Versuch, ein simples elektrisches Gerät zu bauen“ dokumentiert.

Bas van Abel

An dieses Projekt musste der Holländer Bas van Abel denken, als er über eine Kampagne für eine Hilfsorganisation grübelte: Wie das sperrige Thema „Handel mit Rohstoffen aus Konfliktregionen“ pfiffig vermitteln? Van Abel schwebte ein Smartphone vor. Anhand eines selbstgebauten Geräts – so die Überlegung – könnte perfekt auf die Probleme im Kongo aufmerksam gemacht, eine Diskussion über Kriege, Macht und Arbeitsbedingungen in Gang gebracht und zugleich eine „faire“ Alternative angeboten werden – ein „Fairphone“. Van Abel machte die Idee öffentlich. Die Konsumenten sollten nicht mehr nur Konsumenten eines fertigen Dings sein, fand er, sondern an dem Produkt mitarbeiten, es mit Kritik, Fragen, Anregungen und Hilfestellungen vorwärts bringen.

Die Resonanz war gewaltig. 25.000 Personen erklärten sich außerdem dazu bereit, 325 Euro für das Produkt zu zahlen, das es bis dahin nur in Gedanken gab. Mit diesem Investitionskapital konnte „Fairphone“ starten.

Anders als Thwaites Toaster ist das „Fairphone“ mittlerweile auf dem Markt. Die erste Tranche von 25.000 vorbestellten Telefonen wurde 2013 kurz vor Weihnachten ausgeliefert, die zweite – weitere 35.000 Stück – im Herbst 2014. Zurzeit arbeitet das Unternehmen an einem neuen Modell, das im November erscheinen soll. Wer ein solches Smartphone möchte, sollte sich online registrieren: „Wir wollen nicht mehr herstellen als überhaupt benötigt wird“, heißt es auf der Webseite von Fairphone.

Von einem „fairen“ Telefon kann dabei nach wie vor keine Rede sein, doch das Start-up macht Fortschritte. In der Anfangszeit des Unternehmens hatte es große Debatten über „Fairness“ gegeben. Interessenten, die nur auf den Namen geachtet hatten, fühlten sich verschaukelt, klingt „Fairphone“ doch nach der perfekten Öko-Welt – nach einer Welt, in der man meint, Gutes zu tun, indem man das richtige Label kauft. Ohne schlechtes Gewissen muss dort auf nichts verzichtet werden.

Ein hippes Großraumbüro in einem einstigen Kühlhaus aus den 30er Jahren im Amsterdamer Hafengebiet, nur ein paar Minuten vom Hauptbahnhof entfernt: Zwei Dutzend junge Menschen sitzen an langen Tischreihen, vor sich Bildschirme und Kaffeebecher, und arbeiten daran, dass es eines Tages ein möglichst nachhaltiges Smartphone gibt. Mittendrinn van Abel, ein Enddreißiger, der Dreitagebart trägt, Jeans und ein Batman-T-Shirt. Mit der Fairness gehe es „Schritt für Schritt“, sagt van Abel.

 

30 verschiedene Mineralien stecken im Durchschnitt in einem Smartphone. Gerade einmal zwei davon laufen beim „Fairphone“ unter dem Label „konfliktfrei“ – nicht „fair“ – , definiert dadurch, dass kein Warlord an ihnen verdient. An Verträgen für zertifiziertes „fair gehandeltes“ Gold arbeitet „Fairphone“ nach eigenen Angaben. Woher stammt der Rest? „Im Moment wissen wir das nicht. Unsere Endfertigung in China hatte schon Verträge mit den Händlern der restlichen Komponenten“, sagt Tessa Wernink, Marketingleiterin bei „Fairphone“. Ein Smartphone sei eben viel komplexer zu produzieren als eine Banane, die es heute „fair“ und „bio“ in jedem Supermarkt gibt, sagt van Abel.

Tatsächlich macht jeder Rohstoff eine jeweils andere halbe Weltreise, bis am Ende das Telefon in der Fabrik zusammengebaut wird. Das Zinn für das „Fairphone“ etwa wird von der Mine im Kongo in die tansanische Hafenstadt Dar es Salaam gebracht und von dort zum Schmelzen nach Malaysia. Anschließend geht es nach Bangalore in Indien, wo aus dem Material Lötpaste entsteht. Der Rohstoff Tantal dagegen wird im chinesischen Guangdong geschmolzen. In Tschechien entsteht aus dem veredelten Metall der Kondensator. Zurück geht es nach China, diesmal nach Chongqing in die Endfertigung.

In jeder Mine, in jeder Fabrik tonangebend aufzutreten, dafür ist „Fairphone“ mit zurzeit insgesamt 60.000 produzierten Stück zu klein. Apple etwa hat im Weihnachtsquartal des letzten Jahres 74,5 Millionen I-Phones verkauft. „Fairphone“ arbeite von beiden Enden daran, dass die Materialen aus transparenten und sozialverträglichen Quellen kämen, sagt Marketingleiterin Wernink. Auf der einen Seite führe man Gespräche, um herauszufinden, woher all die Teile stammen. Auf der anderen Seite versuche man, adäquate Quellen zu finden und mit Händlern ins Geschäft zu kommen. Für die nächste Tranche – die „zweite Generation“ – hat sich das Start up einen neuen Produzenten gesucht, Hi-P International Limited mit Sitz in Singapur und Produktion in Suzhou. Man entwickelte ein eigenes Design und nahm nicht mehr das Modell von Chongquing. So habe man auch mehr Einflussmöglichkeiten und könne größere Transparenz gewährleisten.

Schon bisher aber könne das „Fairphone“ ruhig „Fairphone“ heißen, finden Wernink und van Abel. Der Name trage dazu bei, Aufmerksamkeit zu generieren. In jeder Fairphone-Schachtel liegt deshalb auch eine Karte mit dem Schriftzug „Failphone“ bei, „gescheitert“.

Dass es „konfliktfreies“ Tantal und Zinn gebe, sei bereits eine enorme Leistung, heißt es von den „Fairphone“-Machern. Gehandelt wurde damit bereits, als „Fairphone“ einstieg: Die US-Unternehmen Motorola und AVX hatten sich gemeinsam mit Branchenverbänden, Entwicklungsorganisationen und der niederländischen Regierung dafür eingesetzt. Den Ausschlag dafür hatte der Dodd-Frank-Act gegeben. Das US-Gesetzt verpflichtet seit einigen Jahren dazu, keine Rohstoffe zu verwenden, die bewaffnete Konflikte finanzieren. Etliche Unternehmen hatten sich aus dem Kongo zurückgezogen – sicher ist sicher – und dutzende Arbeiter standen plötzlich ohne Einnahmequelle da. Besser miserable Arbeit als gar keine, fand auch van Abel, reiste in den Süden Kongos, um sich die Minen anzuschauen und wurde neuer Handelspartner. Ja, es gebe nach wie vor Kinderarbeit. Nein, einen festen Mindestlohn gebe es zurzeit nicht. Und eine hundertprozentige Garantie, dass nicht doch jemand, der nicht sollte, an den Rohstoffen der Kalimbi- und der Katanga-Mine mitverdient, gebe es auch nicht. Soll man deshalb die „konfliktfrei“-Initiative ganz lassen?

Auch auf die Frage, wie es mit den Arbeitsbedingungen in Malaysia, Bangalore oder Tschechien aussieht, hat man keine Antwort. „Gute Frage. Es ist wirklich sehr komplex“, sagt Tessa Wernink. Für die Probleme, die bei der Endfertigung in „Ahong“ auftauchten, fand man dagegen eine Lösung. 45 Mitarbeiter der insgesamt rund 800 Personen umfassenden Belegschaft bauten in zwei Monaten die „Fairphones“ am Fließband zusammen. Hätten nur sie einen höheren Lohn bekommen sollen? Und nur für zwei Monate? Dass dies den Zusammenhalt der Belegschaft gefährden hätte können, darüber waren sich die jungen Unternehmer einig. Sie verhandelten einen klein wenig höheren Lohn als die sonst umgerechnet rund 300 Euro sowie einen fixen freien Tag nach sechs Arbeitstagen. Zusätzlich ließ man einen Sozialfonds registrieren, der allen Mitarbeitern zu gute kommen soll und in den pro verkauftem Telefon zwei Dollar fließen. Was mit den insgesamt 120.000 Dollar geschieht, darüber entschied der im Sommer 2014 erstmals gewählte Betriebsrat: Die Fabriksleitung hatte sich nicht nur dazu bereit erklärt, die geringe Stückzahl zu produzieren, sondern auch eine Betriebsratswahl zu erlauben.

Über die neuesten Entwicklungen bei „Fairphone“ wird man über die Webseite am Laufenden gehalten. Von Anfang an sei es klar gewesen, möglichst transparent sein zu wollen, sagt van Abel. Die Fairphone-Mitarbeiter bloggen. Sie schreiben von ihren Plänen, Problemen, Fortschritten und von ihren Reisen in Minen und Fabriken und von Initiativen, die sie unterstützen, „Closing the loop“ etwa, eine Organisation, die alte Handys in Ghana zurückkauft und sie nach Belgien verschifft, um sie dort ordentlich zu recyceln. In der Dokumentation gibt es Lücken. Aber man bekommt weit mehr Einblick, als bei irgendeinem anderen Smartphone-Anbieter. Und die Mitarbeiter stellen sich der Diskussion in den Blogs.

Die Käufer – die meisten stammen aus Deutschland, den Niederlanden, der Schweiz, Großbritannien und Österreich – müssen geduldig sein. Viele Kunden der zweiten Serie hatten Ende Mai 2014 ihre Bestellung für das – vom technischen Aspekt betrachtet – Mittelklasse-Smartphone aufgegeben und das Geld für das Telefon und den Transport überwiesen. Mit der Auslieferung hätte – so der Plan – im Juli begonnen werden sollen. Mitte Juli verschickte „Fairphone“ e-Mails an die Käufer. Betreff: „Auslieferung startet in den nächsten Wochen“. Anfang August kam die nächste Nachricht: Man plane, die Telefone Mitte September auszuliefern.

In einer Smartphone-Welt, in der es darum geht, technisch weiterzukommen, laufend neue Modelle auf den Markt zu bringen und damit dem Käufer das Gefühl zu vermitteln, nicht von gestern zu sein, hat „Fairphone“ definitiv ein Problem. Glaubt man van Abel, will das Start-up ohnehin nicht immer größer und größer werden. Wachsen nur um des Wachsens Willen, gar die Großen der Branche überholen, sei nicht das Ziel des Unternehmens. Dafür ist van Abel auch Realist genug. Es müsste ein großer, einflussreicher Anbieter sein, der ein „faires“ Telefon macht, sagt van Abel. „Fairphone“ wolle bloß Anschubarbeiten leisten.

Erschienen in: Falter

Datum: 10/2015

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