Griechenland: Nach der „Illusion vom guten Leben“

Die Griechen bestellen in ihrem Restaurant jetzt weniger – doch Kellnerin Julia findet das gut. Es landet nun nicht mehr so viel Essen im Müll. Julia arbeitet in Stoupa, einem Dorf in der Region Mani auf der Halbinsel Peloponnes: Tiefblaues Wasser, kleine Buchten, Sandstrände, ein paar Häuschen, dahinter das Taygetosgebirge mit hunderten Olivenbäumen. Anders als in Athen springt einem die Krise Griechenlands in der Mani nicht ins Auge. Doch Hinweise darauf finden sich auch hier. Es gibt mehr Einbrüche als früher. Die Häuser sind etwas weniger wert. Und die Griechen werden sparsamer.

Der Athener Wirtschaftsprofessor Panos Kazakos nennt es „die Illusion vom guten Leben“, in der es sich seine Landsleute eingerichtet hätten. Als großzügig, gastfreundlich und mit einem gewissen Hang zur Maßlosigkeit bei vielen beschreibt sie der Österreicher Fritz Bläuel, der seit den 1970er Jahren in der Mani lebt. So lange man Geld habe, gebe man es aus. Und Kredite seien den Griechen hinterher geworfen worden.

Von den Griechen selbst hört man immer wieder, dass vor allem die Regierungen Schuld seien an der derzeitigen Misere: Der Rezeptionist im Hotel schimpft auf die Kumpaneien der Politiker und auf die Beamten mit ihren hohen Renten. Der Mann, der auf der Akropolis Tickets ausgibt, sagt, die EU hätte sein Land besser kontrollieren können – doch den Schaden angerichtet hätten die „Regierungen, die immer gleichen Familien“. Man hört von Straßen, die schmaler gebaut wurden, damit mehr Geld übrig blieb, von Solaranlagen, die man nie errichtete, obwohl dafür Förderungen geflossen sind und von Mitarbeitern der staatlichen Telefongesellschaft, die im Alter von 33 in Rente gingen und genauso viel Geld bekamen wie während ihres 15 Jahre langen Arbeitslebens. Und wenn die Skepsis dem Staat gegenüber schon so groß ist: Wozu dann Steuern zahlen?

„Es wird Spannungen geben“, sagt Kazakos. Die Krise aber könne den Übergang bereiten in eine produktivere Gesellschaft, in der man mehr arbeite, in der der Staatsapparat reduziert werde und es einen Staat gebe, der Anreize biete für Initiativen und Unternehmer. Kazakos sitzt eine halbe Stunde mit dem Auto von Stoupa entfernt in seinem Garten. Neben ihm ein Zitronenbaum, vor ihm der Blick auf die Gemeinde Stadt Kalamata und das Meer. Kazakos hat Glück, er muss für sein Haus keinen Kredit abbezahlen. Wenn man ihn fragt, wann die Krise begonnen hat, geht er weit zurück in die Geschichte. Er fängt an beim Klientelismus, bei den lokalen Politikern, die Gefälligkeiten organisierten und beim Industrialisierungsprozess nach dem Zweiten Weltkrieg, der die gewohnten Strukturen veränderte: Gewerkschaften wurden gegründet. Vor dem kommenden Wahlsieg der sozialistischen Vereinigung der Demokratischen Linken putschten rechtsextreme Offiziere. Nachdem 1974 die Demokratie wieder hergestellt worden war, kam ein neues Phänomen auf, der Populismus. „Ökonomische Gesetze wurden völlig ignoriert. Man meinte Geld drucken und Schulden anhäufen zu können.“

Kazakos setzt jetzt auf die Rettungsmaßnahmen. Seine Frau dagegen sagt, der Markt werde durch die Sparprogramme ausgeblutet. In Kalamata seien die kleinen Läden gefährdet. Profitieren würde unter anderem die Billigkette Lidl: Eine Filiale stehe am Anfang, eine am Ende der Stadt. Die Menschen seien verunsichert.

Fritz Bläuel spürt von der Krise kaum etwas. Sein Unternehmen floriert – die Bläuels exportieren Bioolivenöl aus der Mani. Ihren Bauern würden sie durch die solide Position einen guten Rückhalt geben, sagt Bläuel. Anders als viele Griechen spricht er nicht schlecht über die aktuelle Regierung: Sie sei offen dafür, sich Diskussionen zu stellen. „Ich bin nicht sicher, ob mein Optimismus gerechtfertigt ist“, antwortet dagegen Panos Kazakos auf die Frage, wie es seiner Meinung nach weitergeht. „Löhne zu senken ist einfach, aber die Grundeinstellung der Leute zu ändern, das braucht seine Zeit.“

Erschienen in: Süddeutsche Zeitung und Wirtschaftsblatt

Datum: 08/2011

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