Flüchtlingslager Lipa – „Aufbau einer Haftanstalt hat uns verwirrt“

Im Fall des umstrittenen Flüchtlingslagers Lipa in Bosnien erhebt der Premier des bosnischen Kantons Una-Sana schwere Vorwürfe gegenüber der EU. Geht es nach Mustafa Ružnić, wäre das Camp so nie gebaut worden. Und: „Was uns am meisten verwirrt hat, war der Aufbau einer Haftanstalt im Camp Lipa, weil das ursprünglich nicht vereinbart worden war“, sagte er bei einem Besuch der außenpolitischen Sprecherin der Grünen, Ewa Ernst-Dziedzic, in Bihać im Kanton Una-Sana am Donnerstag.

„Wir wissen, dass keine Baugenehmigung für eine Haftanstalt im Camp Lipa erteilt wurde“, so Ružnić. Für den Betrieb einer solchen Anstalt müsse außerdem erst die gesetzliche Grundlage in Bosnien geschaffen werden.

Das in Wien ansässige Zentrum für Migrationspolitik (ICMPD) hat laut seinem Generaldirektor, dem ehemaligen ÖVP-Vizekanzler Michael Spindelegger, von der EU-Kommission den Auftrag erhalten, eine geschlossene Einrichtung zu errichten, um mutmaßlich gefährliche Personen zum Schutz anderer Bewohner für eine gewisse Zeit zu isolieren. Laut Spindelegger soll das höchstens für 72 Stunden möglich sein, danach sei eine Freilassung oder Überstellung in U-Haft beziehungsweise Abschiebehaft an einen anderen Ort erforderlich. Die Container böten höchstens zwölf Personen Platz.

Die NGO SOS Balkanroute wirft ICMPD vor, ein illegales Gefängnis gebaut zu haben und geht davon aus, dass der Bau als Abschiebehaftanstalt genutzt werden wird. Ernst-Dziedzics Annahme: Bosnien soll als Abschiebezentrum Europas fungieren. Um dieser Hypothese nachzugehen, sei sie nach Bosnien gereist, sagte sie. Denn das dürfe nicht passieren.

Dass das Nachbarland Kroatien Asylsuchende mit Gewalt nach Bosnien-Herzegowina zurückdrängt, ist seit langem bekannt und dokumentiert. Mit diesen sogenannten Pushbacks verstößt das EU-Land gegen geltendes Recht wie die EU-Grundrechte-Charta und die Menschenrechtskonvention: Menschen haben das Recht, einen Asylantrag zu stellen, der anschließend geprüft wird. Warum aber nimmt Bosnien jene, die bereits die Grenze übertreten haben, zurück? Und welche Rolle spielen EU-Behörden und EU-Mitgliedsländer?

„Wir sind zu der Erkenntnis gekommen, dass der Bau im Camp Lisa von der EU-Kommission gewünscht wurde“, sagt Kantonspremier Ružnić mit Verweis auf den ungarischen EU-Erweiterungskommissar Várhelyi. „Der Bau wurde auch aus den Mitteln der EU bezahlt.“ Die Zustimmung habe die bosnische Ausländerbehörde – Teil des Sicherheitsministeriums – erteilt. „Wir haben die Information, dass die Anstalt erst in Betrieb geht, wenn es die betreffenden bosnischen Gesetze dafür gibt.“ Der Sicherheitsminister habe die rechtliche Grundlage für die Anstalt angekündigt, die zwölf Einheiten für 24 Personen umfassen solle.

„Dafür, dass die kroatische Polizei die Menschen zu uns bringt, wird es einen Befehl geben“, mutmaßt Ružnić. Kroatien könne ja wie Bosnien auch Transitland sein. „Tagtäglich werden Geflüchtete über Schengen zu uns geschickt, von der kroatischen Polizei zu uns gepusht, erreichen uns Bilder von Folter. Und Millionen werden ausgegeben. Ist das ein gutes System?“, sagt Ružnić. „Wir und die Geflüchteten sind Opfer der internationalen Politik.“

Ružnić verweist aber auch auf das komplizierte politische System innerhalb seines Landes mit unterschiedlichen Interessen sowie auf ein mehr als 20 Jahre altes Abschiebeabkommen zwischen Kroatien und Bosnien, das reaktiviert und adaptiert wurde.

Möglicherweise spielt beim Großthema Flucht auch der Wunsch des Landes Bosnien-Herzegowinas eine Rolle, Teil der EU zu werden. Seit Ende des vergangenen Jahres ist Bosnien offiziell Beitrittskandidat. Visa-Erleichterungen für Bosnierinnen und Bosnier seien ein Thema, sagt auch der Bürgermeister der Stadt Bihać, Elvedin Sedić. „Das Sicherheitsministerium hat darauf angespielt, dass wir Kooperationsbereitschaft zeigen.“

Er selbst habe Angst, dass „die Flüchtlinge im Balkansandwich stecken“ blieben. Man wisse von UNHCR und Geflüchteten selbst, dass Asylsuchende in Kroatien Dokumente auf Kroatisch zur Unterschrift vorgelegt bekämen, die die Menschen fälschlicherweise für Asylansuchen halten. Tatsächlich unterschreiben die Schutzsuchenden demnach, Kroatien freiwillig verlassen zu wollen „und für zwölf Monate keinen Fuß auf kroatischen Boden“ zu setzen. Somit könne auch das Rückführungsabkommen mit Kroatien wirksam werden.

Außerdem würde Kroatien Schutzsuchende nach Bosnien abschieben, die zuvor gar nicht dort gewesen, sondern von Serbien gekommen seien. „Ein Problem in Bosnien: Unsere Behörden verfolgen nicht den Rückführungsprozess Richtung Osten.“ Sprich: Serbische Politiker in Bosnien schieben nicht nach Serbien ab. In der Entität Republika Srpska gibt es laut Bürgermeister Sedić auch keine Flüchtlingscamps. Flüchtlinge werden demnach in Bussen nach Bosnien gebracht.

Auch von der kroatischen Grenze würden Busse die nach Kroatien Geflüchteten nach Bosnien bringen. „Das Camp Lipa ist wirklich ein tolles Camp mit einem Standard auf hohem Niveau“, sagt Sedić und spricht nochmals den vom ICMPD durchgeführten Bau an: Das bosnische Sicherheitsministerium habe ihm versichert, dass nur Geflüchtete, die eine Gefahr für andere Campbewohner oder für die Bosnierinnen und Bosnier darstellten, in dem „Detention Center“ angehalten werden sollen. Geplant sei das für bis zu 72 Stunden – dem Antrag des Sicherheitsministeriums müsse das Parlament noch zustimmen – bis die Betreffenden nach Sarajewo gebracht würden. Von dort würden sie abgeschoben oder nach den entsprechenden rechtlichen Schritten in ein bosnisches Gefängnis überführt.

„Ich bin ein bisschen skeptisch“, sagt Sedić. „Ist ein vier Meter hoher Zaun wirklich notwendig? Und vielleicht hätte man das auch außerhalb des Camps bauen können.“ Bisher habe – „um ehrlich zu sein“ – noch niemand Zutritt zu dem neuen Bau in Camp Lipa, „weil das ICMPD noch nichts übergeben hat“. Offiziell sei die Anstalt noch im Bau. Wer die Einrichtung betreiben und kontrollieren wird? „Die Ausländerbehörde wird Entscheidungen fällen und die Abläufe innerhalb des Detention Centers kontrollieren.“

Europarechtsrechtswissenschaftler Walter Obwexer hatte kürzlich gegenüber dem ORF erklärt, dass eine Anhaltung von Menschen zeitlich begrenzt innerhalb eines Zaunes oder auch innerhalb von Mauern rechtens sei, wenn dadurch etwa andere Personen geschützt werden könnten.

„Wer muss hier geschützt werden?“, fragt Abgeordnete Ernst-Dziedzic nach ihrem Besuch im Camp Lipa. Der Lagerleiter habe bekräftigt, dass es keine Probleme gebe. Derzeit wohnen etwa 250 Menschen in dem für 1.500 Personen ausgelegten Lager. Die meisten bleiben nur wenige Tage. „Die Menschen wollen in die EU“, bestätigen auch Bürgermeister und Premier. Ein neuer Versuch wird gestartet, über die Grenze zu kommen – „Game“ nennen die Schutzsuchenden das Vorhaben, berichtet Petar Rosandić, Obmann der NGO SOS Balkanroute. Man erhole sich im Camp vom letzten Versuch und für die neuen Strapazen. Im Lager seien nicht viele Menschen – es befinde sich zu weit weg von der Stadt und von der Grenze.

Das Camp liegt 25 Kilometer entfernt von der Stadt Bihać, abgelegen inmitten von Wald mit roten Schildern, die vor Minen warnen – Überbleibsel aus dem Bosnien-Krieg. Eine Schotterstraße voll mit Schlaglöchern führt nach einer etwa zehnminütigen Autofahrt von der Hauptstraße dort hin. Das Camp besteht aus weißen Containern mit Stockbetten, Containern mit Toiletten und Waschgelegenheiten sowie einer Kantine. Zu einem Gutteil stammen die Gelder für die Flüchtlingsunterkunft aus Österreich.

„Für uns war es logisch, dass das wir für den Aufbau des Camps einen Ort nahe an der Grenze suchen“, sagt Kantonspremier Ružnić. Das aber habe nicht die Auflagen der EU erfüllt. „Wir hätten auch vorgeschlagen, dass die Menschen hier im Transit Sprachkurse bekommen und eine Anbindung für ihre Zeit in der EU.“

Für die österreichische Abgeordnete Ernst-Dziedzics steht nach ihrem Besuch fest, dass „die geschlossene Hafteinheit nicht in Betrieb gehen darf.“ Im Moment gebe es keine rechtliche Grundlage und in Zukunft sei unklar, wer entscheide, wer auf welcher Grundlage dort hingebracht würde und warum. „Und wozu eigentlich, wenn nicht, um über Sarajewo weiter ohne faires Verfahren abgeschoben zu werden.“ Nachfragen würde sie auch bei Olivér Várhelyi. Denn welche Rolle der Erweiterungskommissar spiele, sei unklar. „Es wirkt, als würde man sich in Bosnien einen Abschiebe-Umschlagplatz erkaufen wollen.“

Sie habe nun einerseits den Bürgermeister von Bihać nach Wien eingeladen, damit dieser selbst dem Parlament als Kontrollorgan – „Stichwort: Verwendung österreichischer Steuergelder“ – berichten könne, was da los sei. „Und ich lade Herrn Spindelegger selbst ein, mir die Hafteinheit vor Ort zu zeigen und für Transparenz zu sorgen.“ Niemand in Österreich wolle, „das wir Rechtsbrüche finanzieren und die Menschenrechte ausgehebelt werden.“

(Compliance-Hinweis: Diese Berichterstattung erfolgt im Rahmen einer Pressereise auf Einladung der Nationalratsabgeordneten Ewa Ernst-Dziedzic. Die Reisekosten werden vom Veranstalter getragen, die Berichterstattung erfolgt unter unabhängiger redaktioneller Verantwortung der APA-Redaktion)

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