Guttenberg: Die Lässigkeit eines Adeligen

Rücktritt? „So weit kommt’s noch meine Damen und Herren, dass man sich nach so einem Sturm drücken würde, so weit kommt’s noch.“ Der deutsche Verteidigungsminister geht in die Offensive. Dass Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) etliche Passagen ohne Quellenangabe in seine Doktorarbeit hat einfließen lassen, beschäftigt die Bundesrepublik nun seit einer Woche. Und für Guttenberg ist klar: Es gäbe wichtigere Themen. Der Tod von drei Bundeswehrsoldaten in Afghanistan verkomme aber in den Medien zur „Randnotiz“.

Damit habe Guttenberg auch nicht unrecht, sagt der Grüne Hans-Christian Ströbele im Deutschlandfunk. Guttenbergs Verhalten habe aber freilich dazu beigetragen, dass man sich mit der „Dissertations-Affäre“ mehr befasse als mit seiner Arbeit als Minister: Zuerst habe Guttenberg die Vorwürfe als „abstrus“ abgetan „und dann gibt er immer mehr zu“.

Am Montagabend hatte Guttenberg schließlich erklärt, „gravierende Fehler“ gemacht zu haben. Seinen Titel wolle er zurücklegen. Die zuständigen Kommissionen an der Universität Bayreuth würden die Arbeit dennoch prüfen, teilte Universitätspräsident Rüdiger Bormann am Dienstag mit.

Für die SPD steht jedenfalls fest: Der Minister muss gehen. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) winkt freilich ab. Die Mehrheit der Deutschen steht laut Umfragen hinter Guttenberg. Aber wie kommt das?

Guttenberg wirkt – anders als viele Politiker – so, als könnte man sich an der Theke einfach neben ihn stellen und mit ihm ein Bier trinken: Als „einer von denen da oben“ will er nicht wahrgenommen werden. Dass er bei seiner Doktorarbeit nicht ganz korrekt war, wird ihm deshalb verziehen: Schummelt nicht jeder einmal ein bisschen? Und dass Guttenberg als früherer Wirtschaftsminister zuerst „Nein“ zu Staatshilfen für Opel gesagt hatte und als Verteidigungsminister die von Konservativen hochgehaltene Wehrpflicht de facto abschaffte, brachte ihm weitere Sympathiepunkte: Da ist einer, der sich etwas traut.

Es ist diese „Lässigkeit gegenüber den Großkopferten“, die den Menschen gefalle, sagt der Soziologe Michael Hartmann von der Uni Darmstadt. Dass diese Lässigkeit aber erst möglich ist, weil Guttenberg eben doch einer von „oben“ ist, einer, der als Adeliger kaum fallen kann, werde nicht wahrgenommen. Skandale in Afghanistan und in der Bundeswehr würden dem Glanz nicht schaden, weil sie das Leben der Menschen nicht unmittelbar beeinflussten – anders als Themen wie die Hartz-IV-Sätze, so Hartmann. „Das alles ist kurios. Aber das haben Sie nicht nur in Deutschland. Denken Sie an Silvio Berlusconi oder an Jörg Haider.“

Je mehr der Handlungsspielraum der nationalen Politiker sinke, schrieb kürzlich der Philosoph Jürgen Habermas in der New York Times, je mehr sich Politiker schicksalshaft scheinbar unausweichlichen wirtschaftlichen Geboten fügten, umso mehr nehme das Vertrauen der Gesellschaft in die Politik ab. Das wachsende Unbehagen spiegle sich auch in der Attraktivität von charismatischen Figuren und „Nicht-Politikern“ wie Karl-Theodor zu Guttenberg wider.

Erschienen in: Wiener Zeitung

Datum: 02/2011

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