Zur Erstürmung der Stasi-Zentrale vor 20 Jahren

Raus aus der DDR: Das wollte Wolfgang Arndt. Seine Ausreiseanträge waren allesamt abgelehnt worden – nun plante er, das Land illegal zu verlassen. Es kam nicht dazu. Arndt wurde verraten. Seine Frau war eine IM, eine Inoffizielle Mitarbeiterin des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS). 1980 wurde Arndt verhaftet. „Ich war wie vom Donner gerührt, was die bei meiner ersten Vernehmung alles wussten“, sagt er. „Verflucht, die hatten mir die Bude mit Wanzen zugekleistert, dachte ich mir.“ Egal wie banal – die Stasi dokumentierte alles. Wie lange brauchte man für den Weg zur U-Bahn-Station? Wohin ging es? Wo stieg man aus?

180.000 Personen waren zuletzt IM gewesen: Sie gaben verdeckt Informationen von Freunden, Kollegen und der Familie an die Stasi weiter. Hauptamtlich beschäftigte das Ministerium 90.000 Mitarbeiter. Die DDR – ein „Volk von Spitzeln“? „Das starke Bemühen um den Aufbau eines hochgradig formalisierten Netzes von Zuträgern demonstriert die grundlegende Schwäche des Regimes“, sagt Thomas Großbölting, Historiker an der Uni Münster. Die SED-Diktatur habe vergleichsweise wenig auf die Akzeptanz und das Mittun der Bevölkerung setzen können. Die Vorstellung vom „Volk der Spitzel“ gehe deshalb ins Leere, sagt Großbölting. „Das Regime war eine menschenverachtende Diktatur. Persönlich konnte man anständig bleiben, wenn man es wagte, nach dem eigenen Gewissen zu handeln und sich Spitzeldiensten für die Stasi zu verweigern. Das haben die allermeisten getan“, erklärt der Historiker August Heinrich Winkler.

Ende 1948 hatte das Politbüro der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KpdSU) beschlossen, eine „Hauptverwaltung zum Schutz der Volkswirtschaft“ zu bilden. Ein Jahr später schuf die SED die Stasi, nachdem das Politbüro den „Beschluss über die Abwehr von Sabotage“ geschaffen hatte. Für die hauptamtliche Mitarbeit wurden auch Jugendliche angeworben – oft jene, deren Eltern bereits bei der Stasi waren oder wenigstens Mitglieder der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED). Den Bewerbungsbogen, von den Schülern ausgefüllt, unterzeichneten freilich auch die Eltern. Die Mitarbeit beinhaltete auch, dem Stasi-Offizier von Freundschaften und Liebesbeziehungen zu berichten.

Die Gründe dafür, Inoffizieller Mitarbeiter zu sein, sind mannigfaltig – sie reichen von Begeisterung bis hin zu Erpressung oder Erpressungsversuchen: „Studienplatz gegen Mitarbeit“ war ein Versuch zu rekrutieren.

Wie der Geheimdienst genau arbeitete, zeigen Stasi-Ausstellungen in Deutschland, zum Beispiel das „Museum in der Runden Ecke“ in Leipzig. 40 Jahre lang hatte hier die Leipziger Stasi-Bezirksverwaltung ihren Sitz. Zu sehen sind beispielsweise Geräte zur Postkontrolle: 1.500 bis 2.000 verdächtige Briefe untersuchte die Stasi täglich allein aus dem Raum Leipzig. Diese wurden geöffnet, fotografiert, verklebt und glattgepresst. Eine Abteilung war damit beschäftigt, Schriftproben auf Mikrofilm abzulegen. Dazu organisierte die Stasi Kopien des jeweiligen Personalausweises, um Namen und Adresse zu haben.

Ausgestellt ist auch eine Abhöranlage, mit der 300 Gespräche gleichzeitig abgehört werden konnten. Die Telefonate wurden aufgezeichnet und anschließend protokolliert. Bizarr muten die dafür verwendeten Kassetten an: Die Stasi beschlagnahmte Kassetten aus Westpaketen, bespielt mit Weihnachtsliedern und Schlagern.

Von verdächtigen Personen wurden Fingerabdrücke, Speichelproben, Schriftproben und Geruchsproben genommen. In „Geruchskonserven“ wurden Textilstücke der Beschatteten aufbewahrt. In anderen Gläsern befinden sich Gegenstände – „Geruchsspuren“ -, die in durchsuchten Wohnungen mitgenommen wurden. Für die „konspirative Wohnungsdurchsuchung“ beschafften Stasi-Mitarbeiter Schlüsselabdrucke, fertigten Zweitschlüssel an und baute Wanzen ein.

Beschattete Menschen wurden freilich auch fotografiert. Um dabei nicht entdeckt zu werden, baute die Stasi Kameras in Jacken, Taschen und künstliche Bäuche. Die Beschatter verständigten sich dabei mit einer Geheimsprache: Hielt einer die Hand oder ein Taschentuch vor seine Nase hieß das für den anderen „Achtung, Objekt erscheint“. Strich man sich mit der Hand über die Haare und lüftete den Hut bedeutete das „Objekt setzt sich in Bewegung“. Blieb „das Objekt“ stehen, legte der Beschatter eine Hand auf den Rücken oder vor den Bauch. Wollte der Beobachter „aus konspirativen Gründen“ abgelöst werden, musste er sich bücken und die Schuhe binden. Wünschte der Beschatter mit einem anderen Spitzel oder einem Gruppenleiter zu sprechen, blätterte er in seiner Brieftasche.

Jede Stasi-Bezirksverwaltung verfügte über eine eigene Untersuchungshaftanstalt. Hierher kam, wen die Stasi als Feind des Systems erachtete. Der versuchte Republikflüchtling Wolfgang Arndt saß in Berlin-Hohenschönhausen. 36 Stunden lang war Arndt zuvor verhört und anschließend kreuz und quer durch Berlin geführt worden: Arndt sollte möglichst große Angst haben. In Hohenschönhausen verhörte man ihn an drei aufeinanderfolgenden Nächten. Das Personal, psychologisch geschult an der Hochschule in Potsdam, ließ ihn tagsüber nicht ruhen und nicht sitzen. Arndt wurde zu sechs Jahren Haft verurteilt. Nach zwei Jahren kaufte ihn die BRD frei, so wie 30.000 andere. Aus Hohenschönhausen wurde eine Gedenkstätte, durch die heute ehemalige Häftlinge wie Arndt führen.

Die „Runde Ecke“ wurde im Dezember 1989 von aufgebrachte Bürger besetzt. Sie stoppten damit auch die Stasi dabei, Akten zu vernichten. Ähnliches spielte sich in den anderen Stasi-Bezirksverwaltungen ab. Am 15. Jänner 1990 wurde schließlich die Zentrale in Berlin gestürmt.

Der Pastor und Bürgerrechtler Joachim Gauck wurde der erste Sonderbeauftragte der Regierung für die Stasi-Unterlagen. Seit zwanzig Jahren verwalten und erforschen die Mitarbeiter der Behörde die Akten und Dokumente. Fast 2,8 Millionen Anträge auf persönliche Akteneinsicht sind seit 1992 eingegangen. Im vergangenen Jahr waren es 87.000. Dass in der Behörde heute 47 einstige hauptamtliche Stasi-Mitarbeiter beschäftigt sind, bezeichnet der neue Leiter Roland Jahn als „Schlag ins Gesicht der Opfer“. Der einstige DDR-Oppositionelle versucht nun, die Betreffenden zum Wechsel in einer andere Bundesinstitution zu bewegen – denn kündigen kann er sie nicht, das ergab kürzlich ein Rechtsgutachten.

Erschienen in: OÖN 01/2010

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