Moshe Zimmermann zu Israels Geburtstag: „Von den Hoffnungen 1948 bleibt wenig“

Die israelische Gesellschaft ist gespalten – auch in der Frage, wie man den 75. Geburtstag des Staates Israel feiert „oder ob man diesen überhaupt feiern kann“, sagt der linksliberale Historiker Moshe Zimmermann im Gespräch mit der APA. Das, was man sich im Jahr 1948 erhofft hatte, davon bleibe „sehr wenig“. Zimmermann spricht von einem „Nationalstaat, der offen ist, der zeigt, wie man in einer modernen Welt national und liberal sein kann“.

Von diesen Vorstellungen blieben „vielleicht die Demonstrationen gegen die Regierung“. Allerdings sei das alles eine „Frage der Perspektive“, so der 79-jährige Zimmermann, der wie viele Tausende Israelis an den Demonstrationen gegen die Regierung von Benjamin Netanyahu teilnimmt. Der israelische Premier plane, die Justiz umzubauen und so die Gewaltenteilung zugunsten einer Übermacht der Exekutive, die auf einer automatischen Mehrheit im Parlament beruht, zu opfern. Davon würde auch Netanyahu selbst profitieren. Ihm droht wegen Korruption eine lange Gefängnisstrafe. Seine Regierungspartner spielen mit. Denn durch die „Demontage“ der Justiz – so Zimmermann – werde die Annexion der palästinensischen Gebiete vorangetrieben.

„Fragt man die Leute um Netanyahu herum, die Leute aus dem rechten Flügel, ist der 75. Geburtstag ein Dream come true“, sagt Zimmermann. Israel habe Abkommen mit arabischen Staaten, auch Saudi-Arabien sei offener geworden.“Die Palästinenser haben wir bereits besiegt, die Palästinenser können uns nichts antun“, referiert Zimmermann. „Also: Die messianischen Zeiten sind schon da.“ Gemäß dieser Position, die Zimmermann für „unerträglich“ hält, sei die israelische Gesellschaft deshalb so stark, weil sie jüdisch gesinnt sei, „jüdisch im religiösen Sinn“.

„Wenn man so denkt – ich wiederhole, das ist nicht meine Denkweise – feiert man den 75. Geburtstag des Staates mit viel Stolz und mit viel Genugtuung“, sagt Zimmermann. „Wir haben es geschafft: Eine Gesellschaft, die eigentlich säkular sein sollte, ist religiös geworden, eine Gesellschaft die offen und liberal sein sollte, ist ethnozentrisch-national.“ Für alle anderen sei dieser Zugang „katastrophal“.

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