Weltmetropole: Oh du schöne Gaslaterne

Es knackt kurz, dann hört man leise die Zündung. Goldgelb und warm leuchtet das Licht der Gaslaternen. Was für ein Idyll. Dutzende historische Leuchten säumen den Weg in den Berliner Volkspark Tiergarten hinein, man spaziert am Kleinen Charlottenburger Doppelgalgen vorbei, am Modell Frankenthal im Breisgau und der Camberwell-Laterne aus dem Jahr 1826, vorbei am Wiener Mast, an den Leuchten Den Haag und Budapest und dem Kleinen Bündelpfeiler. Es raschelt, zwei Hasen hoppeln durch die Sträucher hinter den Laternen. Auf der Straße des 17. Juni, am Eingang zum Berliner-Gaslaternen-Freilichtmuseum, brausen derweil die Autos – aber davon bekommt man hier kaum etwas mit.

Seit 1978 gibt es die Sammlung der historischen Leuchten im Tiergarten, insgesamt 90 Stück aus 25 deutschen und 11 europäischen Städten. Das Museum befindet sich just in jener Stadt, die als „Weltmetropole des Gaslichts“ gilt. 44.000 Gaslaternen stehen hier auf den Straßen – noch. Denn die damalige rot-grüne Berliner Stadtregierung beschloss im Jahr 2008, die vergleichsweise teure und umweltschädliche Gasbeleuchtung bis 2020 gegen kostengünstigeres und kohlendioxidsparenderes elektrisches Licht zu tauschen. Seit man damit begonnen hat, ist der Aufschrei groß.

Von „brachialem Unsinn“ und „Stadtbild-Zerstörung“ schreibt der Verein „Pro Gaslicht“ auf seiner Webseite, von „Gemetzel“ ist in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ die Rede. Die „Zeit“ fragt, ob die Stadt denn keine anderen Probleme habe und wer auf die Idee gekommen sei, „das mit Schönheit ja nicht gerade geschlagene Berlin auch noch seines warmen, denkmalwürdigen Lichts zu berauben“.

Tatsächlich sollen zunächst 9000 sogenannte Gasreihenleuchten aus den 1950er Jahren komplett weichen. Für die einen ohnehin keine Augenweide, ja „entsetzlich“, sind die schmucklosen bischofsstabförmigen Laternen für die anderen ein Zeugnis von Industriegeschichte. Die alten Schinkelleuchten – benannt nach dem Architekten des preußischen Klassizismus, Karl Friedrich Schinkel – soll es laut Berliner Stadtregierung indes gar nicht treffen. Hier würden lediglich die Leuchtkörper und die Energiezufuhrkabel ausgetauscht werden – „nüscht“ merke man, versichert ein Mitarbeiter des Senats. Auch das Getöse um die Lichtfarbe sei nicht nachvollziehen, moderner LED-Technik sei Dank.

Die Vorsitzende des Vereins „Denk mal an Berlin“ sieht das anders. „Kein Unterschied?“, ruft Agnete von Specht aufgebracht. „Das sagen die Technokraten. Gaslicht ist ein wunderbares, völlig anderes Licht.“ Und die LED-Technik sei noch nicht so weit beziehungsweise könne sich das hochverschuldete Berlin das gar nicht leisten und baue daher die „grelle Energiesparlampe Modell Jessica“ ein. Ganze Ensembles historischer Plätze würden zerstört, wenn „Jessica“ anstelle der Gasreihenleuchten komme. Dass der Senat 200 „denkmalgeschützte und historische“ Leuchten weiterhin mit Gas betreiben möchte, genügt Specht nicht. „Historisch sind die doch alle.“ Wobei nicht alle Originale sind, die Gasreihenleuchten ausgenommen. Der Großteil der älteren Gaslaternen wurde im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1826 war die erste Gasstraßenbeleuchtung auf dem Boulevard Unter den Linden angebracht worden – davor, seit Ende des 17. Jahrhunderts, spendeten an öffentlichen Straßen und Plätzen Öllaternen Licht. Die Vororte waren nachts dunkel und die Berliner Polizei drang darauf, dass die Stadt heller wurde. Man versprach sich davon weniger Kriminalität.

Doch zunächst fehlte das Geld. Erst nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 ging es mit dem Ausbau der Straßenbeleuchtung in der neuen Reichshauptstadt voran – die Reparationszahlungen Frankreichs trugen dazu bei. Bis 1995 wurde Stadtgas aus Kohle verwendet, seither greift Berlin auf Erdgas zurück. Von der Berliner Energieagentur heißt es, die rund 40.000 Gasleuchten verbrauchen 190.000 Megawattstunden Energie pro Jahr und verursachen 37.000 Tonnen CO2-Emissionen. Eine „energieeffiziente elektrische Beleuchtung“ würde dagegen nur 7000 Megawattstunden Strom verbrauchen und 4400 Tonnen Kohlendioxid emittieren.

Das überzeugt freilich nicht alle. Unerwartete Kritiker der geplanten Neuerung findet man im alten Westberlin, im bürgerlichen Bezirk Charlottenburg – bei den Grünen. Viel zu teuer sei der Austausch und wegen der quecksilberhaltigen Energiesparlampe „Jessica“ gar nicht so ökologisch, wie es heiße. Zudem gebe es bis jetzt keine Kriterien, welche Straßenzüge und Leuchten als „historisch“ gelten. Man wollte kein „Disneyland“, sondern echtes Gaslicht. Von anderen Mitgliedern derselben Partei hört man hingegen, die Umrüstung koste zwar mehrere Millionen Euro, doch dafür spare man in der Folge. Zudem sei man auch nicht mehr von russischem Erdgas abhängig, sondern könne im besten Fall auf Ökostrom zurückgreifen.

Ein Vorschlag der Grünen Bezirksgruppe lautet nun, den Betrieb einzelner Gaslaternen-Ensembles von Bürgerspenden finanzieren zu lassen. Das besänftigt nicht jeden: Für den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses und den milliardenteuren neuen Flughafen habe die Stadt doch auch Geld, weshalb sollten nun Bürger für die Denkmalpflege aufkommen, erwidern Berliner.

Kaum jemand in Berlin, der nicht bereits eine klare Meinung hat, blickt in dem Gas-Strom-Streit noch durch. Ist es nun ein Verbrechen, nur noch ein paar bestimmte Orte mit Gaslicht zu erhellen? Oder wird hier etwas auf Biegen und Brechen durchgesetzt, dessen Nutzen zweifelhaft ist? Profitieren in erster Linie der Energiekonzern Vattenfall und das Berliner Unternehmen Selux, das „Jessica“ produziert – und steckt in Wahrheit vielleicht gar die Gaswerke AG hinter all den Initiativen gegen die Strombeleuchtung? „Die Stadt muss kein Museum werden“, zitiert die „taz“ die Sprecherin des Stadtentwicklungssenators von der SPD. „Es ist keineswegs so, dass wir Spinner, Träumer und Nostalgiker sind“, sagt Denkmalschützerin Specht. „Man redet doch immer von Bürgerbeteiligung, wann gibt es sie beim Thema Gaslicht? Wer bestimmt, welche Ensembles erhalten bleiben?“

In Wien ist das Thema längst Geschichte. Schon in den 1920er Jahren wurde hier damit begonnen, die Gasleuchten durch Elektrolaternen zu ersetzen. 1962 schließlich erlosch die letzte der Wiener Gasleuchten: In der Hietzinger Sauraugasse schaltete der damalige Bürgermeister Franz Jonas am 27. November stattdessen elektrisches Licht ein. Unterschriftenaktionen für die Gaslaternen hatten nicht gefruchtet. In Übersee, schrieb der „Spiegel“ 1962, riss man sich sodann um die Gaskandelaber, die „Jahrhundertwenden-Gemütlichkeit aus dem alten Europa“.

Gaslaterne mit Alex: eine Schinkel-Leuchte, angeblich sicher vor der Umstellung. - © Zeiner

Erschienen in: Wiener Zeitung und OÖNachrichten

Datum: 10/2012

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